In China bauen

Europäische Architekten bauen in China und distanzieren sich dennoch von dem Regime

„Ich würde auch für den Teufel bauen“,  antwortete einmal der amerikanische Architekt Philip Johnson auf die Frage, für welchen Bauherrn er unter keinen Umständen tätig würde. So provokativ hat kein anderer Architekt je zugegeben, dass er eine interessante Bauaufgabe über Moral stellen und auch für Diktatoren bzw. nichtdemokratische Systeme bauen würde. Erst kürzlich formulierte der Schweizer Stararchitekt Jacques Herzog, Baumeister des spektakulären chinesischen Nationalstadions, „Vogelnest“ genannt, es ähnlich: „Ein Idiot, der solche Aufträge ablehnt.“ Er dürfte vielen Architekten aus der Seele sprechen, auch wenn sie es so freimütig nie zugeben würden.
Deswegen ist auch die derzeitige Diskussion darüber, ob Architekten, die in China bauen, Handlanger eines rücksichtslosen Regimes seien und ein Unterdrückungssystem unterstützten, ziemlich verlogen. Im Vorfeld des Olympiarummels hat die Presse das Thema der Selbstdarstellung Chinas in Architektur entdeckt und damit die Architekten als potentielle Bösewichte. Seither bemühen sich Architekten um eine  Rechtfertigung dafür, dass sie in China, aber auch in Libyen, Nigeria, Rußland, Saudi Arabien und Algerien bauen.

Deutschland unterhält zu diesen Staaten diplomatische Beziehungen. Die Wirtschaft macht in China seit Jahrzehnten beste Geschäfte, Touristen strömen ins Land der Mitte, über 1o.ooo Olympioniken nehmen an den Spielen teil, und ausgerechnet die Berufsgruppe der Architekten soll sich moralisch rechtfertigen, dass sie in China baut? Da kann man dem Doyen des deutschen Städtebaus, Albert Speer, der seit Jahrzehnten in nichtdemokratischen Staaten plant und baut, nur beipflichten, wenn er meint: „ Ich masse mir nicht an, als Retter der Welt aufzutreten.“ Speer plant nahe der nordchinesischen Industriestadt Changchun eine neue Stadt für 3oo.ooo Menschen.
Die derzeitige Diskussion ist hausgemacht und sehr deutsch. „Als hätten wir die Moral gepachtet,“ so Speer. In keinem anderen Land ziehen sich Architekten den Vorwurf an, sie stärkten mit ihren Bauten in China ein Unrechtssystem. Hier wirkt die deutsche Geschichte zu recht nach. Im übrigen diskutieren nur Stararchitekten die Beschuldigung, wegen guter Aufträge  moralische Bedenken in den Hintergrund treten zu lassen. Weil die Presse nur sie befragt.

An einer solchen Diskussion sind Architekten nicht unschuldig. Sie neigen von Berufswegen zur Selbstüberschätzung und glauben, sie könnten die Welt verändern. Kritikresistent zeigen viele belehrende Herablassung anstelle sozialer Kompetenz. „Der Architekt, der eine herausragende Kenntnis des Menschen besitzt, ist ein Idealbild und ein frommer Wunsch dazu“, schreibt der Architekturkritiker Falk Jaeger. Oliver Hamm, auch Architektenkenner, nannte sie „ kommunikationsgestörte Autisten.“ Was anderes als Überheblichkeit ist es, wenn Jacques Herzog sein Olympiastadion als „trojanisches Pferd“ bezeichnet, das er als listiger Baumeister dem chinesischen Staat untergeschoben habe und es als „Akt des Widerstandes“ verkauft. Wer nimmt ihm ab, dass China die schönen neuen Bauten nur errichte, um von Missständen abzulenken?
Architekten geben sich gern unabhängig, aber seit ihren Anfängen sind sie nichts als der verlängerte Arm der Macht. Daß ihre Tätigkeit dennoch eine zutiefst politische ist, werden die wenigsten von ihnen leugnen. Architektur spiegelt bekanntlich die Gesellschaft und ihre Werte. Wenn Werte aber nichts mehr bedeuten  und Moral immer häufiger mit Dummheit gleichgesetzt wird, wenn Kultur heute den Gesetzen des Marktes unterliegt, dann bleibt Architektur davon nicht unberührt. Sie wird zur Ware und der Architekt zum Dienstleister.

„Wie korrumpiert bin ich schon?“, titelte art 8/o8 einen Kommentar zum Bauen in China und decouvrierte darin die Widersprüche der Architekten. Christoph Ingenhoven würde in China bauen, aber nur für private Bauherren. Daniel Libeskind wäre bereit, ein Zentrum für Demokratie zu errichten, sonst aber nichts. Wolfgang Prix würde nie dort bauen, hätte aber gern eine Einladung zum Gazprom Wettbewerb in St.Petersburg erhalten. Die Argumente derer, die seit Jahren in China sind, lesen sich nicht plausibler. Rem Koolhaas, der das Hochhaus des CCTV Staatsfernsehens errichtete, über dessen „Schönheit man streiten kann“, so Speer, verweist kryptisch auf die „Freiheit der Architektur, die politisch positiv wirkt.“ Lord Norman Foster, der Erbauer des Flughafens in Peking, hat sich klugerweise zum Thema nie geäussert. KSP, Frankfurt, die die chinesische Nationalbibliothek bauen, fragt niemand, weil sie nicht in die Rige der Stararchitekten fallen.

In Zeiten der Globalisierung ist ein weltweiter Austausch in Sachen Architektur unumgänglich. Je glamouröser die Ware Architektur, umso besser lässt sie sich vermarkten. In nicht-demokratischen Systemen wie in sog. Demokratien. Daß Demokratie nicht die einzig mögliche Staatsform ist, hat die Welt inzwischen wohl begriffen. Viele Fachleute behaupten, dass der Vielvölkerstaat China ohne  zentralistische Regierung und rigorose Politik im Chaos untergegangen wäre, hätte man nach Maos Ende ohne Vorbereitung Demokratie eingeführt. Demokratische Staaten hatten teilweise Jahrhunderte Zeit, sich in Demokratie zu üben.

Natürlich dürfen Architekten eine politische Situation wie die Chinas nicht akzeptieren, aber ein Boykott hiesse, Chinas Aufbruch nicht zu fördern. China hat sich geöffnet, und die „ungeheure Dynamik der Veränderung“(Albert Speer) kann niemand leugnen. Architekten haben an dieser Öffnung mitgearbeitet, trotz negativer Erfahrungen wie „Ideenklau, schlechter Zahlungsmoral“ (art) bis zu ihrem nicht vorhandenen Einfluß auf den Baustellen. Die neue Architektur wird von vielen Chinesen als Symbol des Fortschrittes verstanden und gefeiert.  

Natürlich leistet Architektur immer Selbstdarstellung nach innen und aussen. Sie inszeniert das Bild des Bauherrn und wie er sich verkaufen will. Der Zusammenhang von politischer Unterdrückung und spektakulärer Architektur reicht von den Pyramiden bis zu Ceausescus Palast in Bukarest. Ai Weiwei, ein chinesischer Künstler, der mit Herzog zusammenarbeitete, beschreibt sein negatives Bild von China so: „ Keine Gerechtigkeit, keine Gleichheit, nur Betrug und Verrat.“ Dagegen können Architekten wenig tun. Was sie tun sollten, ist, wie es Herzog formulierte, sich „das Respektieren von Menschenrechten stets von neuem zum Thema zu machen.“