Der Meister der Fuge

Zum Tode von Karljosef Schattner

Schattner, der Diözesanbaumeister von Eichstätt, starb am 10. April im Alter von 87 Jahren. Der in Gommern geborene Architekt studierte von 1949-53 an der TU München u.a.bei Hans Döllgast, einem Protagonisten der Einfachheit im Bauen, der sein Vorbild war.

Bei ihm lernte er, was Eichstätt, die kleine Stadt zwischen München und Nürnberg, die neben Bauten des Mittelalters vornehmlich durch den Barock geprägt wird, auf immer verändern und zum Mekka der Anhänger moderner Architektur machen sollte.

Schattner machte sich für seine Arbeit einen Ausspruch Paul Valérys zu eigen:" Es ist wichtig, vor allem zu erreichen, daß das, was sein wird, mit der ganzen Kraft seiner Neuheit den vernünftigen Anforderungen dessen genüge, was gewesen ist." Und so legte er durch den oft radikalen, aber immer sensiblen Umbau wertvoller alter Bausubstanz eine Schicht zeitgenössischer Architektur in die kleinste Universitätsstadt Deutschlands, in das barocke Eichstätt, hinein, wie es sie in dieser Symbiose aus Alt und Neu in Europa nicht noch einmal gibt.

Für seine über zwei Dutzend ausgeführten Bauten, darunter Kirchen, Schulen, Kapellen, Bibliotheken, Institutsgebäude, Museen und eine Mensa u.a.m.hatte er über 30 Jahre lang nur einen Bauherrn, den Bischof von Eichstätt.

Nirgendwo sonst in Deutschland ist auf so engem Raum eine derartige Fülle herausragender, kompromisslos moderner Architektur realisiert, die eine so überzeugende Symbiose mit alten Bauten eingeht. Man fühlt sich an Carlo Scarpa und seine unnachahmliche Fähigkeit erinnert, die Wirkung historischer Bauten durch den kalkulierten Kontrast zeitgenössischer Formensprache zu steigern. Allerdings war einigen Denkmalpflegern Schattners radikaler und ästhetisch-intellektueller Dialog zwischen Alt und Neu stets eine Zumutung. Doch für alle Anhänger seiner mutigen Architektur ging mit seiner Pensionierung 1990 ein einmaliges Experiment zu Ende, das als Zusammenarbeit von persönlichem Bauherrn und seine Baumeister früher so nur in der Renaissance und im Barock möglich war und das es heute nicht mehr gibt.

Schattners Architektur in Eichstätt folgt dem Grundsatz  von Muthesius, "daß es vor den Augen der Nachwelt dem Geiste unserer Zeit am Besten entsprechen wird, wenn wir selbständige Werke statt historischer Maskeradenscherze hinterlassen". Anpassung gehörte nie zu den Eigenschaften des Architekten, weder bei den Bauten noch ihren Details wie Türgriffen oder Treppenkonstruktionen. Ein starker, eigenständiger Neubau wertete nach Schattners Meinung auch die Qualität der benachbarten bzw.umgebauten Altbauten auf.

Daß dabei Gesamtkunstwerke herausgekommen sind, hat viele Gründe, nicht nur die seiner persönlichen Handschrift.  Der Bauherr wohnte nebenan, auch der Architekt wurde täglich mit seinen Bauten konfrontiert. In einer so kleinen Stadt wie Eichstätt kann man seiner Architektur nicht entgehen. Hinzu kamen die aussergewöhnlichen Bedingungen für sein Bauen: der übliche Termindruck und das nackte Konkurrenzdenken, das den Markt sonst charakterisiert, fehlten hier. Darüber hinaus machte eine Domhütte mit eigenen Handwerkern, wie dies früher im Mittelalter möglich war, Experimente möglich. Was nicht gefiel, wurde erneut und anders probiert, falsche Entscheidungen durch Abriß und einen Neuanfang korrigiert.

Schattners Qualität liegt im subtilen und kontrastreichen Zusammenspiel von Alt und Neu. Wie er die Nahtstellen zwischen zeitgenössischer und historischer Architektur inszenierte und zelebrierte, das war hohe Kunst und machte ihn zu einem Meister der Fuge.

Zu einigen besonderen Materialien hat Schattner zeitlebens eine grosse Affinität gehabt. War es in den 1970er Jahren der Beton, dessen raue Qualität er nackt gegen alte Bausubstanz setzte, war es später der Stahl. Dessen matte und polierte Oberfläche ergänzte er durch glattes Holz und rohes Steinmauerwerk oder Putzflächen. In der komplexen Einfachheit seiner Bauten und der Verwendung seiner Materialien näherte er sich am Ende seiner Tätigkeit der zeitlosen Qualität alter japanischer Architektur.

Mit ihm starb einer der grossen deutschen Baumeister, die sich noch voll auf ihr Werk konzentrierten und sich nicht täglich in Schriften und Auftritten profilieren mußten.