Hundertwasser und seine andere Architektur

Bauten zwischen Sehnsucht und Traum

Als Friedensreich Hundertwasser, mit richtigem Namen Friedrich Stowasser, am 4.Juli 1958 in der österreichischen Abtei Seckau sein "Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur" vortrug, war er eine bekannte, aber keineswegs berühmte Figur der Kunst der 1950er Jahre. Nicht nur Maler und Bildhauer, sondern auch Architekten suchten damals nach neuen Inhalten und Zielen ihrer Tätigkeit, protestierten gegen eine eingefahrene Praxis des Künstlers und verlangten vehement nach dem Umsturz des Gewohnten. Während Hundertwasser mit seinem Manifest, zu dem er 1959 und 1964 weitere Zusätze schrieb, das Unbehagen an der Kultur einer zunehmend technischen Welt beklagte, in der der Mensch immer stärker fremdbestimmt wurde, forderte auch sein später hochdekorierter Kollege Arnulf Rainer die generelle Freiheit von jedem Regelzwang, die aktive Partizipation des Menschen an der Veränderung der Welt und die Befreiung der Architektur "mit bloßen Händen". Architektur ist hier noch in ihrer klassischen Bedeutung als Mutter der Künstler gemeint.

Auch der junge Architekt Hans Hollein, der in Deutschland das Museum Mönchengladbach und das Kunstmuseum in Frankfurt baute, forderte in einem Manifest namens "Alles ist Architektur", "dass diese subtil und brutal sein müsse, und, wenn wir schon Schönheit wollen, dass sie dann als Zeichen oder Symbol von sinnlicher und elementarer Gewalt" sein müsse.

Zu diesen umstürzlerischen Manifesten traten andere, denen allen ein Protest gegen den konservativen Kunstbetrieb gemeinsam war. Es ist bekannt, dass wenn man in Österreich lange und laut genug schimpft, man schnell zu einer Institution wird.  Genauso war es. Die Genannten avancierten zu einer künstlerischen und architektonischen Avantgarde, die ihresgleichen in anderen Ländern Europas suchten und fanden.
Ganz Europa erlebte damals eine Hoch-Zeit von Protesten in kämpferischen Verlautbarungen und Manifesten. Hundertwassers Verschimmelungsmanifest, das sich später geradezu zu einem "Nachschlagewerk für Architekturhasser" entwickelte, war eines der bestformulierten. Allerdings war es damals eher als grundsätzliches Statement gegen Architektur gemeint denn als detaillierte Architekturkritik an dem zeittypischen Bauten der 1950er Jahre. Sicher baute man 1958 in ganz Nachkriegseuropa einfacher und ornamentloser als zu Zeiten des Jugendstils um 1900, aber die wirklichen Sünden einer vorfabrizierten, gesichtslos-einheitlichen Architektur, gegen die Menschen dann zu Tausenden protestierten, wurden erst in den späten 196er und vor allem in den 1970er Jahren begangen. Hundertwasser legte mit seinem Manifest zu Recht den Finger in die Wunde einer von ihm "seelenlos" genannten Moderne in der Architektur, doch die eigentlichen Fehlentwicklungen z. B. der uniformen Großsiedlungen in ganz Europa, sind 1958 noch Papier und keine gebaute Wirklichkeit.

Nur so ist Hundertwassers Langzeitwirkung zu erklären. Während seine Künstlerkollegen sich dem Kunstbetrieb allmählich wieder einordnen und ihre Proteste abnehmen, wird die von Hundertwasser kritisierte Situation von Jahr zu Jahr schlimmer. Dies erklärt, warum er ab ca. 1970 zwar nicht zu malen aufhörte, sich aber immer stärker der Architektur zuwandte und eine private Formenwelt zu entwickeln beginnt, die die gesamte baugeschichtliche Tradition ignoriert und verdammt.

Das Verschimmelungsmanifest ist das Zeugnis der Ablehnung eines rigorosen schematische Denkens, einer Forderung nach Beteiligung des Menschen und der Ablehnung eines in den Augen Hundertwassers zunehmenden Ordnungs- und Sauberkeitswahnes. Hundertwasser nimmt für die radikale Durchsetzung der Forderungen des Manifestes auch wörtlich, wie er schreibt, "Menschenopfer" in Kauf, wenn nämlich ein von der eigenen Händen der Bewohner errichtetes Haus über ihnen zusammen bricht und sie unter sich begräbt.

Die zentralen Inhalte des Verschimmelungsmanifestes lauten:
1. die gerade Linie in der Architektur gehöre verboten, weil sie gottlos und unmoralisch sei. Mit gerader Linie ist u. a. ein Rationalismus im Bauen gemeint, ein Bauen durch Maschinen statt durch Menschen, ein Bauen ohne Emotionen, das er "eine Ansammlung von toten Steinen" nannte.
2. Jeder Mensch habe das Recht auf seine eigene Gestaltung in Form und Farbe. Hierher gehört das sogenannte Fensterrecht, das erst später so formuliert wurde – jeder solle das Recht haben, sich aus seinem Fenster zu lehnen und die erreichbaren Flächen so zu gestalten, wie er das wolle.
3. Architektur müsse altern können. Damit meinte er auch die Ansiedlung von Schwämmen und Mikroben im Haus. Es gäbe geradezu eine moralische Verpflichtung zur Verschimmelung. Spuren der Verwitterung und des abbröckelnden Putzes waren Hundertwasser willkommen, weil sie darauf hin deuteten, dass an diesem Orte in größeren zeitliche Dimensionen gedacht wurde und nicht nur die Aktualität, die in seinen Augen Mode war, regierte.

In einem Zusatz von 1959 wird Hundertwassers Sprache noch radikaler: eine generelle Planung im Gegensatz zum spontanen, einfachen  Machen im Bauen wird als "gelenkter Massenmord" bezeichnet. Architekten müsse man ihr Tun wie "Giftmischern" verbieten.
Das Vokabular des gesamten Manifestes ist heftig, punktuell auch unverständlich und wirr. Hundertwassers Wutausbrüche entsprechen dabei dem über Jahrzehnte von Bürgerinitiativen benutzten Vokabular, die Architekten vorwarfen, sie hätten an einem bürgernahen Bauen kein Interesse und ihr Geschmack würde von der breiten Öffentlichkeit nicht geteilt.

Es ist unzweifelhaft, dass Hundertwassers Bauten polarisieren. Man liebt sie, oder man lehnt sie ab. Eine gleichgültige Haltung gegenüber seinen bunten Welten und ihrem sorglosen Vokabular ist bei kaum einem Menschen anzutreffen. Dasselbe gilt für seine Philosophie, die er ähnlich grundsätzlich wie die Zehn Gebote verkündete. Einer Forderung wie "Architektur soll den Menschen erheben und nicht gleichschalten oder erniedrigen. Architektur soll für den Menschen da sein, er muss sich geborgen…und wie zu Hause fühlen können. Sie muss seine dritte Haut sein" (1996) können sich alle Menschen und auch Architekten ohne Widerspruch anschließen.

Ähnlich breite Zustimmung dürfte auch sein Postulat finden: "Wer die Vergangenheit nicht ehrt, verliert die Zukunft. Wer seine Wurzeln vernichtet, kann nicht wachsen", denn so oder ähnlich fordern dies seit langem auch kluge Baumeister und Denkmalschützer. Dort allerdings wo Hundertwassers Argumente nicht nur Streit suchen, sondern moralische Entrüstung und Arroganz spiegeln, da spaltet sich die Zustimmung zu ihm. Sätze wie "Die gerade Linie ist eine reproduktive Linie…in ihr wohnt weniger Gott und menschlicher Geist als vielmehr die …gehirnlose Massenameise (1958). Oder "jetzt haben wir das Glatte. Auf dem Glatten rutscht alles aus. Auch der liebe Gott fällt hin. Denn die gerade Linie …ist ein Werkzeug des Teufels."… sind Hasstiraden, gegen die man nicht argumentieren kann.

Was Hundertwassers Bauten auszeichnet, ist die Tatsache, dass sie den Menschen spontan ansprechen. Moderne Architektur dagegen bedarf besonderer Erklärungen. Ihre Qualität erschließt sich nicht ohne Erläuterung. In Hundertwassers Häusern erfährt der Betrachter eine Architektur, die sich scheinbar der genormten Welt entgegensetzt und Wohlsein und Heimat verspricht. Die unmittelbare Reaktion von Hundertwassers Formen und Farben auf das Gemüt des Betrachters ist von sinnlicher Wirkung, während das Erlebnis moderner Architektur eher Langeweile und Ablehnung hervor ruft.

Dem Phänomen Hundertwasser auf die Spur zu kommen und in dem Erbauer von biomorphen Häusern, ornamentierten Fassaden und bunten Märchenschlössern nicht nur einen "gewieften Tausendsassa" und einen "auf allen Hochzeiten tanzenden Derwisch" zu sehen, der seinen Hass auf Architekten in unorthodoxer gebauter Selbstdarstellung propagierte, braucht ein gehöriges Stück Toleranz. Dann kann man die Charakteristik Wieland Schmieds, eines der besten Kenner Hundertwassers, akzeptieren, der ihn so beschrieb: "Hier ist ein Mensch, der sich seine kindliche Naivität bewahrt hat und dem es gelungen ist, sie für seine Aufgabe fruchtbar zu machen, die sich in unserer nüchternen Welt stellt." Auch der Architekt Gustav Peichl, der Erbauer der Bonner Bundeskunsthalle, nennt ihn eigenwillig und einen Muntermacher. Aber die etablierte Architektenschaft verachtet ihn und desavouiert jeden, der sich mit ihm beschäftigt, zum Dilettanten ohne Geschmack und Hirn. Auch Hanno Rautenberg schlägt in seinem Aufsatz "Achtung, sehr süß" (Die Zeit 18.10.12) in diese Kerbe, wenn er schreibt: "Selbst für Hundertwasser reklamiert die Bremer Kunsthalle, er sei doch in Wahrheit ganz anders. dass er vor allem ein pseudonaiver Meister der Zwiebeltürmchen und Knollensäulen war? Ein Selbstvermarktungsgenie mit eigenen Erlebniseinkaufszentrum? Dass sich hinter dem Kindlichkeitsgetue ein Reaktionär verbarg, der freien Herzens zu Protokoll gab "Die zeitgenössische Kunst ist entartet."

Hundertwasser war ein hochintelligenter Mensch, der widersprüchliche Naturen in sich trug. Er war ein Freund der Langsamkeit, schüchtern und berührungsscheu, bedürfnislos und in sich verschlossen. Als Halbjude, Sohn einer jüdischen Mutter, der zeitweilig Mitglied der Wiener NSDAP war und zahlreiche Verwandte im KZ verloren hatte, war er misstrauisch und hielt es nirgendwo lange an einem Ort auf. Auch nicht in seinen fünf Häusern von Venedig über Frankreich bis Neuseeland, wo er nach Ruhe und Abgeschiedenheit suchte. Er sagte einmal dazu: "Neuseeland ist für mich eine Art Gelobtes Land, wo man zurückfinden kann zu den Ursprüngen. Was für die Juden Israel, ist für mich Neuseeland." Seine privaten Paradiese stellten für ihn eine mit ihm versöhnte Welt dar und ermöglichten ihm eine Welt ohne Angst. Gleichzeitig zu dem Einsamen, der er war und zu dem Narziss und Egomanen, hat er seine Person zur Marke gemacht, weil er erkannte, dass er seine Ideen so am besten durchsetzen konnte. Doch er war kein kühler Kalkulierer, und der Ausspruch Antonio Gaudis: " Mein Leben ist meine Botschaft", hätte von ihm stammen können. Er war auch keineswegs der Verharmloser, als der er allgemein hingestellt wird. Die heile Welt für jeden Menschen war ihm nur als Utopie vorstellbar. Aber er hatte das Ziel, dem Menschen seine Würde zurückzugeben und ihm zu ermöglichen, in Harmonie mit der Natur zu leben, wo die technische Entwicklung dies täglich schwieriger machte. Sicher war er ein Anhänger einer naiven Form des philosophischen Naturalismus, aber er selbst lebte, wovon er sprach. Und natürlich war er nicht so dumm, die öffentliche Aufmerksamkeit, die er erfuhr, zu seinen Zwecken nicht einzusetzen. Selbstinszenierung war ihm bestens geläufig.

Aus der Sicht eines Architekturkritikers ist der ästhetische Mehrwert der Häuser Hundertwassers vielleicht bescheiden, aber für die Träume von Menschen waren und sind seine Bauten wichtig. Die meisten Menschen lieben, wie schon gesagt, seine märchenhaften Wohnschlösser und bunten Traumhäuser. Offensichtlich befriedigen diese Bauten die Sehnsucht nach einer heilen Welt und eventuell gar die Sehnsucht nach einer vergangenen Kindheit. Sie reflektieren die "heitere Erinnerung an Verlorenes," an eine naive Unschuld und eine konflikt- und problemfreie Welt, wie Bernhard Schäfers dies in seinem Aufsatz, "Wieviel Idylle braucht der Mensch" , feststellt .Die zahlreichen Menschen,  die sein Wohnhaus in Wien (1983-86) als zweitwichtiges Bauwerk der Stadt neben Schönbrunn bezeichnen und besuchen, sehen in seinen Bauten mit ihrer farbenfrohen, fantasievollen Dekoration eine Architektur, die ihnen hilft, sich einer heil-losen Welt zu widersetzen. Sie erleben in den kunterbunten Welten Inseln des Rückzuges, heimelige Ecken, die sie über die graue Alltagswelt hinweg trösten; manche sprechen gar von Zipfeln des Paradieses, die sie in seinen Bauten finden. Zwar fühlen sich die Bewohner von den Besuchermassen gestört, gleichzeitig aber, wie eine Dissertation  über Hundertwassers Architektur feststellt, bewundert und beneidet, und sie sind stolz darauf, hier zu wohnen.

Hundertwasser will mit seinen Bauten die Menschen in ihrer Kreativität heraus fordern. Das jedoch findet eben nicht statt, vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Hundertwasser verspricht Sinnlichkeit für alle im Vergleich zu denjenigen, die er wegen der gottlosen Gerade, der rechten Winkel und der Sterilität ihrer Architektur angreift. Aber diese Sinnlichkeit ist ein oberflächliches Versprechen. Seine Buntwelt suggeriert eine falsche Idylle, denn der Mensch bedient sich ihrer nur, um sich abzulenken. Er bewältigt in diesen Bauten die Welt nicht besser als in einer neutralen Umgebung. Der Psychologe Micha Hilgers stellt fest, dass Hundertwassers Bauten eine Art fix und fertiges  Paradies liefern, zu dem die Bewohner nichts mehr dazu tun können und müssen. Sie begnügen sich passiv mit der Übernahme der farbigen Bildwelten und mieten sich in sie ein. Sie  suchen die fröhlichen Schablonen, aber - so stellt er fest - sie seien nicht kreativ wie die Nutzer von Schrebergärten, die sich ihre eigene naiv-anarchistische Umgebung schüfen. Er schreibt: "Der Garten Eden wird unendlich langweilig, wenn man ihn bereits besitzt und vor allem, wenn man ihn nicht beeinflussen kann. So lange er von außen allerdings bestaunt werden kann, übt er Faszination aus".

Etwas anderes kommt noch hinzu. Hundertwasserbauten verändern die darin wohnenden Menschen nicht zum Besseren, wie manche  Bewohner und Betrachter meinen. Oberflächlich gesehen mögen die Bewohner sich in ihrer bunten Umgebung wohler fühlen als Menschen in Nullachtfünfzehn Häusern, aber Scheidungen, Kindesmisshandlungen und andere Gewalt kommen hier genauso häufig vor wie in nüchternen Behausungen. Insofern sehen Hundertwassers Gebäude zwar aus wie Idyllen, aber sie sind es nicht. Denn die wahre Idylle, falls es sie denn gibt, hat den Zweck, den Menschen im Stand der Unschuld, d. h. in einem Zustand der Harmonie und des Friedens mit sich selbst leben zu lassen, so jedenfalls Friedrich Schiller.

Viele der Bauten Hundertwassers sind, wie sie auf den Bildern gesehen haben, Umbauten und keine Neubauten. So die Barbarakirche in der Steiermark (1887-88) die Autobahnraststätte bei Bad Fischau (1989-90),das Kunsthaus Wien (1989-90), der Bahnhof Uelzen (1999-2000). Am deutlichsten ist die Verhübschung  am Fernwärmekraftwerk Spittelau in Wien ( 1988-92). Hundertwasser wollte ursprünglich die Umgestaltung der riesigen Müllverbrennungsanlage nicht übernehmen, denn sein Ideale waren Müllverbrennung und -wiederverwertung. Aber der "Architekturdoktor" i musste erkennen, dass eine Millionenstadt wie Wien ein solches Bauwerk nicht einfach abreißen und schöner wieder aufbauen kann, und so nahm er den Auftrag an.
Dass er sie nur äußerlich verschönte, machte ihm nichts aus. Er trug seinen von Architekten erfundenen Schimpfnamen "Behübscher " wie ein Adelsprädikat. "Ich bin stolz darauf, ein Behübscher zu sein. Die ganze hässliche Welt müsste behübscht werden."
Und genau das tat er. Aber er blieb auch, als der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in den 1980er und 1990er Jahren das Bauen wurde, ein Maler, der seinen Wirkungskreis lediglich um Architektur erweitert hat.

Hundertwasser hat Architekten verachtet und gehasst wie sie ihn. Außer Antonio Gaudi ließ er kaum einen gelten. Von diesem dagegen ließ er sich inspirieren. Übrigens hat Hundertwasser sich selbst nie einen Architekten genannt. Die Bezeichnung "Sonntagsarchitekt" stammt von seinem Biografen Wieland Schmied und ist positiv gemeint.
Hundertwasser dachte nicht in dreidimensionalen Räumen, wie dies Architekten tunt. Seine Grundrisse sind banal, konstruktives Denken war ihm fremd. Gute Architektur entsteht von innen nach außen, Hundertwasser dagegen dachte vornehmlich in Fassaden und Oberflächen und baute bzw. ließ von außen nach innen bauen.
Der amerikanische Architekt Robert Venturi hätte Hundertwassers Bauten wohl als "dekorierte Schuppen" bezeichnet. So jedenfalls nannte er in einem berühmten Buch die trivialen Bauten von Las Vegas, die in ihren Fassaden einmal als indianischer Tempel, als Schloss à la Versailles oder als venezianische Kanalkulisse daherkommen.  Im Vergleich zu Hundertwassers Häusern jedoch sind dies gigantische Konsumtempel; dagegen wirken die pittoresken Hundertwasserwelten klein, detailliert, liebe- und phantasievoll. Von beiden ist die Märchenwelt Hundertwassers eindeutig das kleinere Übel.

Hundertwassers Ablehnung der Architekten und deren Vorliebe für eine nüchterne, rationale Architekturgestaltung hat eine lange Vorgeschichte und reicht bis in die 1920er Jahre zurück. 1928 besang man in einer Berliner Revue spöttisch die Avantgarde-Architektur der Zeit:

Fort mit Schnörkel, Stuck und Schaden!
Glatt baut man die Hausfassaden.
Nächstens baut man Häuser bloß,
ganz und gar fassadenlos.
Krempel sind wir überdrüssig,
viel zu viel ist überflüssig.
Fort die Möbel aus der Wohnung,
fort mit was nicht hingehört.
Ich behaupte ohne Schonung,
jeder Mensch, der da ist, stört.
(Wasmuths Monatshefte für Baukunst 1928, S.374)

Solche Verzichtsarchitektur und ihre Schmucklosigkeit wurde in zahlreichen Manifesten der 1920er Jahre gefordert, von Architekten, nicht von Nutzern. Architektur – so die Forderung von Architekten und Industrie – sollte mit der Welt der Technik harmonisieren und sollte nach denselben Prinzipien wie ein Auto produziert werden. Beim Bauen ging es darum, so Hermann Muthesius schon um 1903, "ungeschmückte Sachformen" herzustellen. Der Architekt Le Corbusier träumte von Häusern, die Schiffen und Flugzeugen ähneln sollten.

Der Erfolg dieser Moderne entsprach keineswegs der Vorstellung der meisten Menschen, sondern war eine Sache weniger, nämlich der Avantgarde und großstädtischer Intellektueller. Deren asketische Form des Wohnens und der Repräsention sowie die Ablehnung jeder "Gemütlichkeit" sollte die Verachtung breiter Schichten einer anders lebenden Bevölkerung ausdrücken. "So setzen wir uns unglaublich ab von den Habenichtsen, die auf dem Wege nach oben die Insignien der jeweils höheren Gesellschaftsschicht imitieren," so Adolf Behne.
Hundertwasser hätte einen Feldzug gegen solche Verächtlichkeit geführt und sich schon 1931 auf die Seite eines Reporters geschlagen, der auf der Suche nach gebautem Seelentrost und lebendiger Gestaltung die Anarchie einer Schrebergartensiedlung bei Düsseldorf entdeckte, die alles andere als glatt und schmucklos war. "Ich," schreibt der Journalist, " entdeckte tausend liebevolle Sächlichen, kleine Vorgärten mit Blumen, Loggien, eine winzige Hühnerfarm, blanken Hausrat, märchenhafte Fensterdekorationen. Manche Häuser sind mit verblüffender Phantasie erdacht, einige mit architektonischen, aus Abbruchstellen geborgenen Fragmenten – Renaissancesünden unserer baulustigen Väter – überladen Das alles rührt an die Gesetze der Baukunst" (Kölnische Zeitung 9.8.1931). Es liest sich, als habe Hundertwasser schon damals gebaut.

Der Erfolg der sachlich- neutralen Moderne war recht eigentlich ein Erfolg im Nachhinein. Zwar wurde die radikal vereinfachte Gestaltung ohne jedes Ornament und weitgehend ohne Farbe in den 1920er Jahren angefacht und auch gebaut, aber dieses Bauen fand erst in den 1960er und 1970er Jahren zu einer wirklich massenhaften Verbreitung. Der Neuanfang nach den Zerstörungen des 2.Weltkrieges machte es möglich. Man griff dabei auf die ideologisch nicht belastete Architektur der 1920er Jahren zurück. Aber schon 1948 geißelte Hans Sedlmayr die kahle Nacktheit des Nachkriegsbaus und sprach von einer künstlerischen Fratze der Technokratie und einem falschen Pathos des Sachlichen. Helmut Schelsky dagegen schwärmte von der Vorfabrikation als dem "Leitbild der wissenschaftlich- technischen Zivilisation" und nannte sie "den Schlüssel zur Machbarkeit menschlichen Glücks". Auf solcher Basis entstanden die menschenverächtlichen Großsiedlungen mit ihrer  einheitlichen Architektur. Ihre Monstrosität dürfte Hundertwasser vor Augen gehabt haben, als er seine leidenschaftlichen Proteste formulierte. In der eintönigen "Glätte", um ein Wort Hundertwassers zu benutzen, dieser Siedlungen fanden selbst die Schwalben, die hier nisteten, nicht mehr zurück in ihr Nest, sie verirrten sich in der Monotonie und begannen, an unterschiedlichsten stellen gleichzeitig zu bauen.

Die stereotype Wiederholung immer gleicher Fassaden führt nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen zur Orientierungslosigkeit.
Diese Reaktion ist mit einer der Gründe, warum ein Großteil der Menschen bis heute moderne Architektur ablehnt, wenn sie nackt, neutral, abstrakt, schmucklos, unfarbig und einheitlich daher kommt.
Das menschliche Auge ist ja nicht nur Sender, sondern auch Reizempfänger und braucht Anregungen aller Art, von Farben bis Formen.
Der Biologe Bernhard Lösch, Direktor des Naturwissenschaftlichen Museums der Stadt Wien, schrieb dazu in seinem Beitrag "Der Streit um das Schöne" für den Hundertwasser Katalog des Architekturmuseums, dass es nirgendwo in der Natur die Wiederholung völlig identischer Merkmale wie im industriell bestimmten Milieu gebe. Der Mensch, der bis heute steinzeitlich bestimmt und von einer Art Ur-Umgebung geprägt sei, in der es perfekte Geraden, exakte geometrische Zuschnitte und stereotype Raster nicht gegeben habe, müsse geradezu in einer Umgebung immer gleicher Bauten seine Sicherheit und Identität verlieren.

Und – doch darüber wird ein nächster Referent berichten – es gebe eine Art Pflanzensehnsucht des Menschen. Wo er könne, hole sich der Mensch Pflanzen in seinen Lebensraum, entweder als lebendiges Gewächs in der Wohnung oder -künstlerisch verschlüsselt – vom Akanthuskapitell korinthischer Säulen bis zum floralen Jugendstildekor. Erst der Funktionalismus mit seinen nackten Räumen und neutralen Fassaden verbannte die Pflanzenornamentik aus der Architektur und "schuf damit unbewusste Mangelerlebnisse für das uralte Naturwesen Mensch." Hundertwasser habe diese Fakten nicht bewusst gekannt, aber unterbewusst geahnt und versucht, in seinen Bauten dem Menschen und seiner Veranlagung entgegen zu kommen.

Hundertwassers Architektur ist ein abgeschlossenes Kapitel der Baugeschichte. Neue Bauten seiner Art wird es nicht geben, wobei billige Nachahmer versuchen, an seinen Erfolg anzuknüpfen, indem sieTankstellen, Outlet Centers, Ferienarchitektur und anderes versuchen, à la Mode Hundertwasser zu realisieren, aber nicht aus Liebe zu Menschen, sondern aus rein kommerziellen Gründen. Dieser billige Abklatsch entsteht überall, denn die Disneylandisierung unserer Welt ist nicht aufzuhalten.