„Es wohnt ein Geist in allen Dingen“

Bionik und mehr

Eine Sendung von WDR 5 zum obigen Thema am 27.April variierte das berühmte Gedicht von Joseph von Eichendorf „Schläft ein Lied in allen Dingen“ durch den Begriff „Geist“ und beschäftigte sich mit der Frage nach einer in allen Dingen vorhandenen Intelligenz, die nicht nur - wie Jahrhunderte behauptet - dem Menschen zu eigen ist, sondern von Forschern inzwischen auf sämtlichen Ebenen der Natur bis in die kleinste Zelle nachgewiesen wird.

Die interessante Sendung war der vorläufige Höhepunkt einer Entdeckung und wissenschaftlichen Diskussion der Vielfalt und des Vorbildes der Natur, von der der Mensch lernen und für seine Welt profitieren kann. Die Bionik ist Teil dieses sich gerade explosionsartig ausweitenden Forschungsfeldes: Bionik verstanden als Ideengeber der Natur für die Technik, die als Gesamtheit der vom Menschen erstellten Gegenstände und Methoden definiert wird.

Im Laufe der Evolution haben Tiere und Pflanzen in ihrem täglichen Kampf ums Überleben sich den Herausforderungen einer Umgebung immer neu anpassen müssen und dabei erstaunliche Lösungen und Tricks entwickelt. Diese betreffen eine Fülle von optimierten Materialien, Strukturen, Verfahren und Abläufen. Der Forscher entdeckt sie, studiert sie und überträgt sie dann auf unterschiedlichste Anwendungsgebiete. Gerade in Zeiten eines notwendigen sorgsamen Umgangs mit Ressourcen und Energiereserven findet der Wissenschaftler in der Natur eine Fülle von Anregungen, deren Entdeckung allerdings noch am Anfang steht.

Manchmal sind die Funde dem Zufall gedankt. So studierte der Schweizer George des Mistral, der 1951 seine Erfindung des Klettverschlusses zum Patent anmeldete und dann Schwierigkeiten hatte, einen Hersteller dafür zu finden, lange Zeit die Kletten, die er nach Spaziergängen mit seinen Hunden immer mühselig aus deren Fell entfernen mußte. Manchmal aber haben die Forscher auch ein Problem und gehen in der Natur auf die Suche nach Vorbildern: in den 70igern suchte man nach Oberflächen, von denen das Wasser sehr schnell abtropfte und dabei aller Schmutz mit weg gespült wurde. Man entdeckte die Lotusblüte, deren Blätter genau diese Fähigkeiten aufweisen. Der Lotuseffekt war gefunden, und seither profitieren viele Bereiche des Menschen hiervon, nicht zuletzt eine wettertaugliche Kleidung. Übrigens hat man inzwischen herausgefunden, daß auch die Kapuzinerkresse, die wir für den Salat verwenden,  ähnlich superhydrophobe Eigenschaften wie der Lotus hat.

Gerade im Bereich der Architekturbionik darf man für die Zukunft eine Fülle von Entdeckungen und Übertragungen aus der Natur erwarten, von neuen Materialien, die einerseits hart, aber dennoch elastisch sind, formstabil und trotzdem flexibel, bis hin zu Klimatisierungsüberlegungen, die dem Vorbild von Termitenhügeln abgeschaut sind.

Die Forschung zu diesen Fragen stellt einen hohen Anspruch an die Findigkeit und Phantasie von Ingenieuren und anderen Wissenschaftlern; auf Seiten der Architekten werden neue, ungewöhnliche,  interdisziplinäre Kooperationen nötig. Zwar ist die Forschung meist langwierig und teuer; aber die gefundenen Lösungen können, wie der Markt inzwischen deutlich macht, schließlich sehr preiswert sein.

Was Architekten Kopfzerbrechen machen wird, ist der Tatbestand, daß es sich bei den Lösungen aus der Natur weitgehend um funktionale und nicht ästhetische Ergebnisse handelt. Damit aus Technik und Techniken Schönheit entsteht, bedarf es der Kreativität der Baumeister. Frei Ottos natürliche, elegante Bauten auf der Basis von pneumatischen Konstruktionsprinzipien sind dafür einzigartige Vorbilder. Überhaupt ist der inzwischen fast 90 jährige Frei Otto ein Pionier der Bionik; er zählt zu den frühesten Suchern der Architektur nach Vorbildern aus der Natur. Bereits 1960 schuf er den frei stehenden Glockenturm einer Kirche in Berlin Schönow nach dem Vorbild des Skeletts einer Kieselalge.

Die Liste von Erfindungen nach der Natur wächst unaufhörlich; kaum ein Forschungsinstitut, das sich nicht mit Bionik beschäftigte.

Im Bereiche der Architektur geht es dabei vor allem um neue vielseitige Oberflächen, um formstabile Baustoffe, um leichte, gleichwohl starke Konstruktionen oder um Energieeinsparung. Um letztere zu verbessern, hat man beispielsweise den Eisbären studiert, dessen weisse Haare auf einer darunter gelegenen tiefschwarzen Haut sitzen, die als Wärmespeicher funktioniert. Nach den besonderen Eigenschaften dieses Eisbärfells haben Ingenieure eine multifunktionale Wärmedämmung entwickelt, die seit einiger Zeit amen. Bau Verwendung findet.

Um Silizium, das für die Herstellung von Solarzellen gebraucht wird und sehr teuer ist, einzusparen, hat der Wissenschaftler Michel Grätzel mit Farbstoffen experimentiert, die ähnlich dem Chlorophyll in Bäumen und Blumen vorhanden sind und wie kleine Lichtfallen auf die Sonne reagieren. Die von ihm entwickelte Bio-Solarzelle braucht kein Silizium mehr, sondern nur Blumen mit kräftigen Farben, die in einem äußerst komplizierten chemischen und physikalischen Prozeß Strom aus Sonnenlicht erzeugen können.

Andere Forscher studieren Tiere, die an glatten, senkrechten Flächen auf und ab laufen können und den schnellen und präzisen Wechsel von Haften und Lösen perfekt beherrschen. Nach diesem Vorbild hat man dann ein bionisches  Klebeband entwickelt, mit dessen Hilfe Objekte auf den Oberflächen von Glas haften, ohne Rückstände zu hinterlassen. Dies kommt beim Transport und bei der Reinigung von Fassaden zum Tragen.

Schon Joseph Paxton, der Erbauer des Londoner Kristallpalastes, studierte im 19. Jahrhundert Riesenseerosen, um von ihnen zu lernen, wie die dünnen Blätter hohe Gewichte tragen können, ohne im Wasser unterzugehen. Der gelernte Gärtner entdeckte als Antwort auf der Unterseite der Blätter dicke Rippen, die durch  zahlreiche Querstreben miteinander verbunden sind, also eine Art Gitter bildeten. Er übertrug dieses Prinzip auf die Eisenkonstruktion seiner Gebäude und sicherte so deren Stabilität.

Brücken, Flugzeuge und andere Konstruktionen greifen häufig auf bionische Forschungen an Knochen zurück, die deutlich machen, wie man leichter als gewöhnlich und doch stabil bauen kann. Außen wirkt ein Knochen glatt und massiv, innen sieht er eher wie ein Schwamm aus - voller Löcher. An einigen Punkten sind die Löcher kleiner und die Knochensubstanz dichter. Forscher fanden heraus, daß dies an Punkten der Fall ist, wo Knochen mehr Gewicht tragen müssen; sie verstärken sich dort also durch den Druck, dem sie ausgesetzt sind und reduzieren ihr Material dort, wo der Druck geringer ist.

Bionik – ein unerschöpfliches Reservoir an Lösungen aus der Natur für viele Bereiche des Menschen.