Architektur für die Mode

Unterschiede und Ähnlichkeiten

Einer der schönsten Läden, die mir je begegnet sind, lag in Porto in einem der vielen herunter gekommenen Häuser der Altstadt.
Die Jugendstilfassade war kaum noch als solche zu erkennen, die Balkone hingen schief, die verschiedenen Etagen standen offensichtlich leer. Nur im Erdgeschoß tat sich noch etwas.
Über die gesamte Breite der Fassade erstreckten sich zwei Schaufenster, und zwischen ihnen lag eine hohe, sehr breite Tür, fast eine Art Portal, die den ganzen Tag einladend offen stand.
Wer eintrat, dem verschlug das Interieur die Sprache.

Der Laden verkaufte Stoffe. aber sie lagen nicht wie gewohnt in Regalen an den Wänden oder auf Ladentresen, sondern hingen im Abstand von ca.5o Zentimetern neben- und hintereinander von der Decke. Kurz über den Köpfen auch der größten Besucher endeten sie, konnten aber mit ausgestreckter Hand berührt, herunter gezogen und näher inspiziert werden.

Der sehr tiefe Raum von vielleicht 25 Metern war ungefähr sieben Meter breit, weiß getüncht und hatte einen dunkelroten Kachelfußboden. Bis auf wenige Stühle gab es kein weiteres Mobiliar, aber eine wirksame Beleuchtung von in die Decke eingelassenen, altmodischen Strahlern. Tageslicht drang nur durch die Straßenfront ein und versickerte nach wenigen Metern in dem von der Decke herab hängenden Labyrinth aus Stoffen.

Der erste Eindruck beim Betreten war der eines betörenden  Farbgewitters. Eine Bandbreite von blauen Farbtönen lockte den Besucher in den Laden hinein und ließ daran denken, daß Meer und Himmel in ihren verschiedenen Nuancen von ganz hell bis tief dunkel von der Decke herab hingen. Unter gelb, grün, schwarz-weiß und lila hindurch schlenderte man durch den Laden hindurch bis zu seinem Ende, wo die Fülle der Stoffe in einem brennenden Rot den Eindruck erzeugte, als stünde man kurz vor den weit geöffneten Pforten der Hölle und schaute in das ewige Feuer hinein.

Alle Stoffe, vor allem die dünnen Seiden, waren durch einen leichten Windhauch und durch die Berührung der Besucher in ständiger Bewegung. Sie strichen einem über Gesicht und Hände, der Kopf verfing sich manchmal in einem besonders tief hängenden Stoff, den man nicht gesehen hatte - der Laden war eine einzige optische und sensuelle Verführung. Gleichzeitig war er eine Kreation ohne viel Aufwand, aber mit viel Phantasie, von größtmöglicher Vielfalt, raffiniert und dennoch ganz einfach. Im Jahr nach meiner Entdeckung war er spurlos verschwunden.

Mode- welcher Art auch immer - braucht keine große Architektur. Mode braucht vielmehr eine raffinierte Inszenierung - knapp oder opulent, je nachdem was ein Modeschöpfer oder Hersteller an Assoziationen transportieren will. Und Mode braucht zur Vorführung den besonderen Ort, der eine Verstärkung der modischen Idee oder einen Gegensatz zu ihr kreiert.

Viele der letzten Modeschauen in Paris suchten das Ambiente alter Kinos, kaputter Industriearchitektur oder die technischen Hallen großer Flughäfen. Diejenige Vorführung allerdings, die in den Medien die größte Aufmerksamkeit fand, wurde in einem riesigen Supermarkt der ganz gewöhnlichen Sorte inszeniert. Hier wurden die letzten Pariser Kreationen zwischen Regalen mit Fertigsuppen, Brottheken und Tresen mit Wurst und Käse vorgeführt. Die eleganten Mannequins trugen in Ergänzung ihrer erlesenen Roben Einkaufskörbe am Arm mit Obst und Gemüse darin. Triviale Alltagswelt und besonderer Modeanspruch fusionierten so zu einer Art Gesamtkunstwerk aus Kleidern und Location.

Mode vorführen ist das eine, sie in Läden, Boutiquen oder Kaufhäusern zu verkaufen das andere. Hierfür müssen vorhandene Bauten umfunktioniert und umgebaut werden - in letzter Zeit übrigens in immer schnellerem Wechsel, denn das Design der Umgebung hat inzwischen den Verfallswert der Mode übernommen.

Die wichtigste Frage, der sich Architekten und Designer bei einem Umbau stellen müssen, ist die, die sich auch Baumeister bei Museen immer wieder gegenüber sehen: Ist der beste Hintergrund für die Mode eine einfache, zurückhaltende Gestaltung oder ein raffiniertes, aufwändiges Ambiente, das bei aller Qualität auch leicht zur optischen Konkurrenz werden kann? Diese Frage hat vor allem in den 8oiger und 9oiger Jahren die öffentlichen Diskussionen über die „richtige“ gestalterische Lösung von Kunstmuseen dominiert. Nicht selten waren es die Architekten, die für eine formal anspruchsvolle Architektur plädierten, während die Museumsdirektoren, die die Dominanz ihrer Kunst nicht tangiert sehen wollten, sich für eine eher sparsame Baugestalt aussprachen. Die Argumentation läßt sich nahtlos auf die Mode übertragen.

Als im Zuge der postmodernen Hightech Architektur eines Norman Fosters in den 8oiger Jahren reduziertes Technikdesign für Modeläden die Regel wurde, verwandelten sich die bis dahin eher ein wenig altmodischen Umgebungen in kühle, minimalistische, meist weisse Milieus - bevorzugt in angesagten Lofts - in denen eine sparsame Anzahl von Kleidern oder Anzügen die einzigen Farbtupfer bildeten und wie ausgesuchte Kostbarkeiten an Aluminiumstangen hingen.
Dergleichen Design ist inzwischen längst die Regel und übt nur noch begrenzten Reiz aus.

Architektur gilt als dritte Haut des Menschen, Kleidung als die zweite.
Beide sind daher eng mit dem Menschen verbunden. Sie bilden eine Art Rahmen, der uns definiert, verbirgt und beschützt. Beide erlauben unterschiedliche Freiheiten der Bewegung, die Architektur mehr als die Kleidung.

Sicher gibt es nicht zuletzt wegen dieser Übereinstimmungen Ähnlichkeiten von Kleidung und Bauten, von Mode und Architektur. Beide sind mit starken Emotionen verbunden, sind auf Originalität, auf eine Handschrift und auf persönlichen Stil angewiesen und ständig auf der Suche danach. Doch während Mode eine Sache auf Zeit ist, verrückt sein kann und darf, steht Architektur unter einem sehr viel größeren Anspruch an Solidität, Funktionalität und Dauerhaftigkeit. Architektur bleibt, Mode wechselt.