Lautlos durch ein unbekanntes Europa

Anmerkungen zu einer Flußkreuzfahrt auf der Donau

Die Zeiten auf Deck früh am Morgen vor Sonnenaufgang oder am Abend bei Sonnenuntergang, wenn alle Passagiere zu Abend essen, sind die schönsten. Das Schiff gleitet ohne jedes Geräusch durch das Wasser, die lautloses Stille wird nur ab und an durch den Schrei eines Vogels oder das gelegentliche Rauschen des Flusses unterbrochen. Die Uferliegen stumm, kein anderes Schiff weit und breit. Das Schweigen senkt sich auch dem Betrachter in die Seele. Keine Meditation kennt bessere Bedingungen.

Die Donau wird „die Königin unter Europas Flüssen“ genannt. Ihr teilweise dramatischer Verlauf vorbei an europäischen Hauptstädten, an Schlössern, Burgen und Klöstern begeisterte Dichter und Musiker, wie sonst vielleicht nur noch der Rhein dies tat. Während der jedoch Europa ordentlich von Süden nach Norden durchquert und seine Länge von der Quelle bis zum Mündung gemessen wird, wird die Donau vom Punkte Null an der Mündung ins Schwarze Meer rückwärts berechnet. Der Grund: die Donau kennt keine genaue Quelle, ihr Ursprung liegt im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Sie bildet sich aus kleineren Flüssen und verschwindet teilweise sogar völlig im Karstboden, als wolle der Fluß sich heimlich davon machen. Kommt hinzu, daß der Strom lange Zeit zunächst von Westen nach Osten fließt, bis er sich am spektakulären Donauknie in Ungarn nach Süden wendet und seinen anderen europäischen Flußkollegen damit den Rücken zuwendet. Kurz vor der Mündung allerdings dreht er noch einmal auf kurzer Strecke sogar nach Norden.

Wer die Donau bereist, lernt viel über die Geschichte und die Geografie Europas. Man sieht auf beiden Seiten eine Vielfalt an Landschaften vorbeiziehen, aber die Übergänge von Österreich, der Slowakei, Ungarns, Rumäniens, Serbiens und Bulgariens sind unmerklich und fliessend. Ob man hier noch in Ungarn oder schon in Serbien ist, ob auf dieser oder auf beiden Seiten Rumänien oder Bulgarien liegt, keine Vegetation, keine ländertypische Bauweise, die man vom Schiff sähe, kein Schild verrät auf dieser Wasserstraße, wo man gerade ist. Die kleinen Dörfer, die man vom Schiff aus sieht, ähneln einander, die Ferienhäuschen sind einheitlich ärmlich, und die sozialistischen Hinterlassenschaften in Form hässlicher Wohngebiete und heruntergekommener  Häfen und Werften gleichen sich. Nur die Lage Budapests und Belgrads auf einem steilen Felsen über dem Fluß prägt sich als eindrucksvoll  ein.

Die Reise auf der Donau von Passau bis ins Schwarze Meer ist 2857km  lang. Diese enorme Strecke bis  ins Delta schafft ein Schiff in acht Tagen von Passau bis ins Schwarze Meer nur,  wenn es nachts fährt; am Tag, wenn die Ausflüge in die Umgebung  stattfinden, liegt es vor Anker. Ein wunderschönes Geräusch, nachts bei weit offenem Fenster zu schlafen, wenn der Fluß die Begleitmusik rauscht.

Die Donau ist ein ziemlich behäbig fliessender Strom. Je breiter er ist und je näher er dem Ziel der Reise, dem Mündungsdelta, kommt, umso geringer wird sein Gefälle. Am Oberlauf beschleunigen noch zahlreiche Zuflüsse, die hier münden, seine Fließgeschwindigkeit, aber an der mittleren Donau beginnt der Fluß sich in zahlreiche Arme zu teilen und bildet große schwimmende Inseln. Man begreift die Ufer nicht mehr so recht und hat hier erstmals den Eindruck, auf einem riesigen See unterwegs zu sein.

Größte Probleme für die Schifffahrt machte historisch immer das spektakuläre, sog.Eiserne Tor, eine Engstelle der Donau von ca. 1oo km Länge, wo sich der Fluß in Jahrtausenden seinen Weg durch das serbische Erzgebirge und das Banater Gebirge gebohrt hat. Hier ist das Flussbett eng und unberechenbar, voller Sandbänke und Untiefen und seit der Antike der gefährlichste und gefürchtetste Abschnitt der Donau, der nur mit Lotsen bewältigt werden konnte. Ein von Jugoslawien und Russland 1972 hier gebautes Kraftwerk und ein 15o km langer Stausee haben die Situation entschärft und den Wasserspiegel des Flusses 35 m angehoben. Der technische Eingriff nahm dem Eisernen Tor seinen Schrecken, doch bis heute ist diese Stelle, die schon der römische Kaiser Trajan mit einer Brücke und einer Straße zu zähmen suchte, wie eine Inschrift aus dem Jahre 101 n.C. beschreibt, der landschaftlich dramatischste Teil der Donaureise. Dazu trägt an der Einfahrt zum Eisernen Tor auch die monumentale Festung Golubac bei (15.Jahrh.), die für Eroberer des Balkans jedweder Nationalität eine grosse strategische Bedeutung hatte und bis heute, obwohl Ruine, einen äußerst wehrhaften Eindruck macht.

Die Donau hat auf ihrem Lauf 2o Schleusen zu überwinden, mehr als jeder andere europäische Fuß.l Das schafft immer wieder Ruhepunkte und ist spannend zu beobachten.

Die Länder zu beiden Seiten der Donau haben gemeinsame und eigene Geschichte geschrieben. Dies detailliert zu beschreiben, bräuchte ein Buch. Im 5. Jahrhundert siedelten hier in großen Teilen die Kelten, 15 n.C. errichteten die Römer die Provinz Pannonien und zu ihrem Schutz einen Limes. Immer wieder verwüsteten feindliche Eroberer wie um 43o die Hunnen große Landstriche, dann kamen die Goten, Langobarden, Bajuwaren, Ungarn. In Ruhe ließ man die Länder in der Nachbarschaft der Donau nie. Die Osmanen unterwarfen die Donauländer und brachten den Islam mit, 1529 belagerten die Türken erfolglos Wien.
1683 schlug Prinz Eugen die Osmanen nach zahlreichen Scharmützeln endgültig zurück.. Habsburg breitete sich aus und schuf ein Weltreich. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 wird Europa nach den Napoleonischen Kriegen neu geordnet. Der Anstoß zum 1.Weltkrieg erfolgt durch das Attentat am habsburgischen Thronfolger in Sarajevo, 198o nach dem Tode Titos zerbricht Jugoslawien in Nationalstaaten.

Das erkennt man nicht, wenn man die Ufer der Donau betrachtet. Der sehr viel kürzere Rhein mit einer Länge von ungefähr 12oo km fliesst  durch eine urbanere Landschaft mit zahlreicheren und unterschiedlicheren Dörfern und Städten. Die Ufer der Donau wirken einheitlicher, das Hinterland ländlich. Über sehr lange Strecken begleitet ein niedriger homogener Wald den Fluß, am Ufer ein wenig unterspült von den unterschiedlich hohen Wasserständen.

Je näher die Donau dem Ziel ihrer Reise, dem Schwarzen Meer, kommt, umso ordentlicher wirkt der Fluß an seinen Ufern. Bäume hören auf, Vorstellungen eines Urwaldes wie am Amazonas lösen sich in Luft auf.
Stattdessen Schilf soweit man sehen kann. Einheitlich, als sei es gerade gleich hoch geschnitten worden. Das Delta der Donau ist die größte Schilfzone der Welt, eine Fläche acht mal so groß wie der Bodensee, Unesco Weltnaturerbe. „Ein Puzzle aus Biotopen, von Röhrichtzonen, Seen, Lagunen, Flussarmen, Auwäldern und Kanälen,“ wie Kai Althoetmar in der FAZ vom 16.7.2015 schrieb. Und ein Paradies und Versteck ür Vögel aller Art, für Fischotter, Hermeline, Marder und Fisch fressende wilde Hunde. Die alle erlebt man nur, wenn man mit kleinen Booten mitten in das Schilflabyrinth  und seine unzähliger kleinen Wasserläufe hinein fährt. Es ist die Entdeckung eines verwilderten Gartens mit zahlreichen Einwohnern am Ende eines unbekannten Europas.