Pas de deux – ein Tanz der Gegensätze

Eine besondere Ausstellung in Kolumba

Das Diözesanmuseum von Peter Zumthor in Köln, das eine beeindruckende Sammlung mit Kunstwerken und Gegenständen vom Mittelalter bis in die Moderne sein eigen nennt, ist jedes Jahr im Herbst für eine Überraschung gut. Dann nämlich schließt das Haus für vier Wochen, um danach mit einer neuen Ausstellung aus dem eigenen Archiv wieder zu eröffnen.

Diese Ausstellungen stehen unter ganz unterschiedlichen Themen. Sie kombinieren Hochkunst und Triviales, sind dem Kommerz rigoros entzogen und versuchen, dem Besucher Schönheit nahezubringen.
Die Kuratoren setzen dabei nicht auf die Berühmtheit eines Werkes oder den bekannten Namen eines Künstlers, vielmehr geht es ihnen um die Aura, die Atmosphäre und die Wirkung, die ein Werk erzeugt. Die Betrachter sollen berührt werden. Dafür wird ein Kunstwerk inszeniert, oft durch Konfrontation mit etwas völlig anderem und aus einer anderen Zeit.

In diesem Jahr lautet der Titel der Ausstellung „Pas de deux“, ein dem Ballett entnommener Begriff, der den Tanz zweier aufeinander bezogener Figuren meint. Der Titel meint vor allem, daß die diesjährige Ausstellung von Kuratoren Kolumbas und solchen aus dem Römisch Germanischen Museum entwickelt und mit Werken aus beiden Museen bestückt wurde. Das Römisch Germanische Museum in Köln wird in Kürze aus Renovierungsgründen geschlossen und zeigt in Kolumna einige seiner Schätze zum letzten Mal für lange Zeit.

Herausgekommen ist bei dieser Zusammenarbeit die in meinen Augen faszinierendste Ausstellung der letzten zehn Jahre, die das Thema Schönheit an Gegenständen von der Antike bis heute „in berückender Perfektion“ zeigt.

Pas de deux meint aber inhaltlich noch mehr als diese Zusammenarbeit.
Es meint die Ähnlichkeit zwischen Tanz und Kampf, den Gegensatz von Licht und Schatten, von Liebe und Haß, von Bewegung und tiefer Ruhe, von Alter und Jugend. Pas de deux inszeniert sich als Tanz des Lebens, wo die Gegensätze sich ergänzen, sich aufheben, sich konfrontieren.
Der Rundgang beginnt mit dem am Boden liegenden Kopf der Medusa. Sie ist eine von drei Schwestern der griechischen Mythologie, die ihre Betrachter zu Stein erstarren lassen. Medusa ist die einzig Sterbliche der Schwestern. Bekanntlich tötet Perseus sie, als sie sich in seinem Schild spiegelt. Die Sage im Kopf sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf den Helden oder seinen Schild. Der Pas de deux ist hier bereits vorbei, ein Fakt der Vergangenheit, der den Fall der Medusa bedeutete.

Im ersten Geschoß wird das Motiv des Kampfes deutlicher. Hier tötet der Erzengel Michael den Teufel in der Gestalt eines Drachen (17. Jh. Simon Troger). Eindringlicher ein Relief aus dem 2.Jh .n. C. das Mithras, den aus Persien stammenden Sonnengott – Sol Invictus – einen der beliebtesten Götter der römischen Soldaten, auf dem Rücken eines Stieres reitend zeigt. Er tötet den Stier, der eines der ältesten Symbole der Fruchtbarkeit ist und wird dadurch zum Schöpfungsgott.

Dieser Pas de deux wird bis heute in Arenen Spaniens als Stierkampf wiederholt und gefeiert und er macht in vielen Fällen deutlich, wie ähnlich sich Tanz und Erotik und Kampf und Erotik sind.

In einer Vitrine sechs Faustkeile aus der Altsteinzeit, scheinbar unscheinbar, aber von Anfang der Zivilisation an der Begleiter des frühen Menschen bei der Bewältigung seines Alltags.  Forscher haben herausgefunden, daß beim Sprechen und bei der Herstellung von Faustkeilen sich Hirnareale überlappen und sich gegenseitig beeinflussen. Ein früher pas de deux zwischen dem Menschen und seinen handwerklichen Gegenständen.

Raum 8 ist einer der spannendsten der ganzen Ausstellung. Hier ein monochromes Red Painting von Josef Marioni und daneben auf dem Boden drei weißliche Graburnen (1. Jh.) für die Asche von Toten.
Das Bild und die Urnen sind minimalistische Gegenstände und nicht weiter zu reduzieren – ein pas des de deux der Einfachheit. Im Raum werden sie ergänzt durch das raffinierte Gegenüber eines hölzernen Christus in der Rast (1480). Die schöne Skulptur des erschöpften, melancholischen Christus wirft einen prägnanten Schatten. Sein Gegenüber ist der kleine Kopf eines Herakles aus schwarzem Porphyr (2. Jahrh. n. C.) – beide Kunstwerke haben scheinbar keinen Bezug zueinander. Und doch. Ihr pas de deux spielt mit den Bildern und Vorurteilen in der Köpfen der Besucher.  Christus kennt man gewöhnlich nur am Kreuz und leidend, der müde Mann hier ist kein Bild, das wir normalerweise von ihm haben. Noch extremer der Herakleskopf. Unter Herakles stellen wir uns gewöhnlich muskelbepackte Figuren eines Brutalo vor, kein kleines Kind.

Wer Raum 10 am Ende der langen Treppe ins 2. Geschoß betritt, steht vor einer der eigenwilligsten Inszenierung der Ausstellung.  An der einen Wand ein Riesengemälde (2006), aus dem 91 Einzelabbildungen eines fetten, häßlichen Mannes den Besucher anglotzen. Die Porträts sind einander ähnlich, aber doch nicht von derselben Person.Die groben Gesichter haben etwas von Karikaturen und reizen zum Lachen.Ihnen gegenüber eine Vitrine mit feingezeichneten Gesichtsurnen (1. - 3. Jh.), die in Köln gefunden wurden. Gesichter aus braunem, schwarzen oder beigen Ton, mit hochgezogenen Brauen, winzigen Augenschlitzen, schiefen Nasen und verzerrten Mündern. Über 2000 Jahre liegen zwischen Bild und Urnen, ein größerer Gegensatz ist kaum möglich. Die Gesichtsurnen waren für die Asche von Verstorbenen bestimmt, ihre Masken sollten Räuber abschrecken. Die groben Porträts, denen jede Spiritualität fehlt, sind ebenfalls alles andere als anziehend, sie erschrecken selbst normale Betrachter.

Raum 13, der größte und schönste in Kolumna, ist in eine große Ausgrabungsstätte verwandelt, die voller Tontöpfe unterschiedlicher Formen, Farben und verschiedenen Alters besteht. Die Töpfe sind nahezu industriemässig gefertigt und stehen eigenartig durcheinander.
In der Mitte einige moderne Gefäße, die sich in nichts von den alten unterscheiden. Archäologen, die diese Töpfe eher in Reih und Glied ordnen würden, dürften bei diesem pas de tous Kopfschmerzen bekommen.

Wenn man in Kolumba eine neue Ausstellung konzipiert, läßt man immer einige besondere Stücke hängen oder stehen, weil sie für das Selbstverständnis des Museums eine besondere Bedeutung haben.
Dazu gehören die Madonna mit den Veilchen von Stefan Lochner (1450), die goldene Wand von Jannis Kounellis mit Garderobenständer, Hut und Mantel und das Kreuz aus dem 12. Jahrhundert mit einem Christus aus Elfenbein. Dieses Stück ist der vielleicht kostbarste Besitz des Museums.

Um einen pas de deux zu inszenieren, wurde das Kruzifix des  leidenden Gekreuzigten mit einer Munitionskiste mit Fichtenstamm und Berglampe (1953) von Josef Beuys konfrontiert. Ein gewagtes Miteinander. Hier ein leidender Christus, der den grausamsten Tod für die Menschen gestorben ist, dort, an die Gräuel des 2. Weltkrieges und das Nazireich erinnernd, die ärmlichen Symbole eines zerstörten Lebens. Im Schrecken begegnen sich die beiden so unterschiedlichen Kunstwerke.

Im Raum der Veilchenmadonna, die durch das grosse Fenster auf den Dom schauen kann, steht ein zierlicher Bischofsstab ohne Bischof, mit dem er gewöhnlich einen lebenslangen pas de deux eingeht. In einer Vitrine ein kleiner Augustuskopf (1. Jh.), der über sich hinaus weist. Der schräg gehaltene Kopf und der leicht verdrehte Hals weisen als Vorbild auf Alexanderporträts des 4. Jahrhundert hin. Alexander litt an einer Krankheit, die Gesicht und Hals beeinträchtigt. Diese Symptome zeigt auch der winzige Kopf, ein pas des deux der Erinnerung an ein übermächtiges Vorbild also.

Die goldene Wand von Kounellis ist schon an sich schwer zu verstehen. Gold und ein schäbiger Garderobenständer passen nicht zusammen und stehen nach Meinung des Künstlers für eine bürgerliche Katastrophe.

Durch die römischen Kaiserporträs (1. - 3. Jh.) von Augustus, seiner Frau Livia, Tiberius u.a. gewinnt Kounellis Goldwand an ironischer Bedeutung. Gold ist die Farbe von Königen und Kaisern. Gold ist die Welt der hier ausgestellten Personen.Der Garderobenständer fordert die Kaiser nicht heraus, hier ihre Kopfbedeckungen abzulegen. Er ist nicht Teil ihrer Welt.Augustus wüßte mit dieser Aufforderung nichts anzufangen, denn er trägt das Manteltuch des Oberpriesters auf dem Kopf, so wie Livia durch den Kranz aus Ähren und Mohn als Priesterin der Ceres charakterisiert ist.

Nicht alles und jedes Ausstellungsstück kann unter dem Thema pas de deux eingeordnet werden. Aber das riesige Holzrelief und der Weihealtar in Raum 19 nehmen eindeutig Kontakt zueinander auf. Felix Droeses ungeschlachte Skulptur aus Holz und seine drei reliefartigen Frauenfiguren wirken wie ein primitives Götterbild, das seine Bedeutung nur ansatzweise verrät. Ist das Ganze ein Schiff auf dem Weg in die Unterwelt, sind die Löcher in den Figuren Wege für die Seelen nach Draussen? Der Weihealtar mit den drei Figuren der sog. Matres dagegen ist ein bekanntes und in Germanien weit verbreitetes Motiv. Die Mattes sind Schutzgottheiten , deren Heiligtümer von den Römern überbaut wurden, so wie die Christen ihre Kirchen häufig über dem Standort römischer Tempel errichteten. Derselbe magische Ort wirkt in vielen Religionen.

Der letzte Raum ein pas de deux der Färbe. Das Diatretplas in der Mitte  mit der Inschrift „Trinke, lebe schön immerdar“, zeigt Rot,Grün und Gelb und wird in denselben Farrben gespiegelt von den sechs monumentalen Leinwände von Dieter Krieg an den Wänden.

Manche Kritiker kritisieren gelegentlich in Kolumba eine „Überästhetisierung“. Das mag in einigen Fällen so sein. Aber gewöhnlich bringen die Ausstellungen die Besucher zu einer Art des anderen Sehens als gewöhnlich und provozieren ihre Phantasie, wie es normale Ausstellungen kaum können.