Anmerkungen zum Bauherrn

Gebaut wird jede Menge, aber der Bauherr ist kein „Herr“ mehr

Um es vorwegzunehmen: den klassischen Bauherrn, der als Gruppe – wie die Bürger beim Bau des Marktplatzes von Siena – oder als Einzelner – wie Ludwig XIV in Versailles – Inkunabeln der Baugeschichte initiierte und zu verantworten hatte, gibt es nicht mehr. Oder mindestens ist er eine Rarität geworden. Das liegt, um es salopp mit den Worten einiger Architekturkritiker zu sagen, daran, dass der Bauherr kein „Herr“ mehr im traditionellen Sinn eines vornehmen und gebildeten Menschen ist, aber auch daran, dass bauherrliche Visionen rar geworden sind. Wer heute Architektur in Auftrag gibt, der baut selten Denk-Male, die nicht nur für den Augenblick Bestand haben, sondern noch in 2oo Jahren wichtig sein werden.

Der klassische Bauherr hatte meist sehr konkrete Ideale und Ideen, die sein Architekt dann in die „richtige Form „brachte. Der heutige Bauherr denkt wesentlich funktions- und kostenbewusster, und entsprechend diesseitiger ist die gestalterische Umsetzung durch den Architekten. Daß bei einem schnöden Bauauftrag wie der Hongkong & Shanghai Bank, Norman Foster möge für sie „das teuerste Gebäude der Welt“ errichten, dann auch noch wegweisende Baukunst herauskam, ist wohl eher die Ausnahme.

Der klassische Bauherr war meist eine Einzelperson, die alles bestimmte: Inhalte, Form, Baukosten und Bauzeit. An ihm hatte der Architekt ein Gegenüber, mit dem er um die richtige Gestaltung ringen konnte. Heute bestimmen anonyme Gremien das Bauen, nicht selten ohne konkrete Gesichter und Namen. Und diese wechseln schnell, wobei Informationen verloren gehen und Verantwortlichkeiten sich erst gar nicht etablieren können. In dieser Situation hat der Architekt keinen Ansprechpartner, eine Situation, die sich in vielen Bauten negativ widerspiegelt. Daß Günter Behnisch den schönen Plenarsaal in Bonn nach zwanzigjähriger Diskussion als das herausragende Stück Architektur fertig stellte, das es ist, hatte nichts mit der besonderen Qualität des Bauherrn Bundestag zu tun. Dieser Bauherr, sprich die Bundestagsabgeordneten, hatte keinerlei Ideen, sondern nur Quadratmeterwünsche. Der Architekt allein war derjenige, der Vorstellungen vom Bauen in der Demokratie entwickelt hatte und diese kongenial in gebaute Gestalt umsetzte.

Soll ein Bauherr als Konsequenz daraus dem Architekten nur noch den inhaltlichen und finanziellen Rahmen vorgeben und ihn ansonsten machen lassen, was er will? Vielen Architekten wäre genau das recht, fühlen sie sich doch häufig genug nicht verstanden in dem, was ihnen wichtig ist und was sie für richtig halten. Doch dies wäre eine völlig falsche Entscheidung, die dem Bauen eher schaden als nützen würde. Denn Architektur ist ein dialogischer Prozess, ein Diskurs zwischen Gewünschtem und Möglichen, ein ständiges Gespräch, das auf Änderungen immer wieder neu antwortet. Teil dieses Dialoges ist die gegenseitige Kontrolle von Bauherr und Architekt, die im Interesse der Qualität der Architektur immanent notwendig ist. Denn bis heute gilt, was Walter Gropius einmal formulierte, als er sagte: „ Gestalten heißt in Fesseln tanzen.“ Völlige Freiheit in seinem Tun hiesse für den Architekten, allein gelassen zu werden.

Im Grunde gilt nach wie vor, dass der beste Bauherr – privat oder öffentlich – derjenige ist, der genau weiß, was er will, der sein Wollen durchdacht hat und es begründen kann, der mutig genug ist, dem Architekten nicht in seine Kompetenz hineinzureden, ihm aber auch nicht jeden gestalterischen Einfall abzunehmen, den er für nicht richtig hält, der praxisorientiert denkt, sich aber auch begeistern lässt, der akzeptiert, dass das, was er für sich baut, auch ein öffentlicher Akt ist mit ästhetischen Konsequenzen für die Gesellschaft.

Ein selbstsicherer Bauherr ist der beste Partner eines Architekten. Er orientiert sich bei seiner Suche nach dem geeigneten Baumeister weniger an den grossen Namen von Stars als an vorbildlichen Bauten. Zwar verkauft sich die gebaute Sensation in Zeiten einer Reizüberflutung wie heute besser als ein charaktervoller Bau von eigentümlicher Gestalt in des Wortes wahrer Bedeutung Aber eine Stadt baut man bekanntlich nicht mit exzentrischer Architektur, sondern mit Bauten von einer grossen Qualität des Normalen und Alltäglichen.

Weitere Merkmale qualitätvollen Bauens sind Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und eine gute Ausführung. Alle drei sind sollten ebenso zu den Forderungen eines Bauherrn an seinen Architekten zählen wie ein behutsamer Umgang mit Materialien, die Einbeziehung lokaler Ressourcen und eine Absage an Architektur als Wegwerfprodukt. Ein Bauherr hat ein Anrecht auf alles dies, denn es ist sein Geld, das verbaut wird. Wenn die Verantwortung des Architekten als Treuhänder des Bauherrn keine leere Floskel ist, dann sind Sorgfältigkeit, Verlässlichkeit und Gewissenhaftigkeit unerlässliche Tugenden des Architekten, auf die ein Bauherr ein Anrecht hat.

À propos Wettbewerbe. Auf gut ausgearbeitete Wettbewerbe haben Architekten wiederum einen Anspruch. Denn sie erbringen mit ihrem Wettbewerbsbeitrag eine kostenlose Leistung für die Gesellschaft, die diese nie wirklich gewürdigt hat. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der jeder gegen jeden steht. Konkurrenz belebt sicher das Geschäft, wenn damit ein Vergleich von Ideen gemeint ist und nicht nur ein Preiskampf. Ein Wettbewerb unter Architekten um die beste Architektur war immer das optimale Instrument, eine gute Lösung für eine Bauaufgabe zu finden. Bauherren, die sich auf Wettbewerbe eingelassen haben,  waren mit dem Ergebnis meist gut beraten, vorausgesetzt, das Programm stimmte und die Jury auch. Ein Wettbewerb klärt alle mit einem Bau verbundenen Fragen und liefert dem Bauherrn formale Alternativen. Doch leider kommt das Wettbewerbswesen aus unterschiedlichsten Gründen allmählich unter die Räder. Die Bauherren selbst, vor allem die öffentlichen, die bekanntlich eine Vorbildfunktion haben, sollten in ihrem eigenen Interesse alles gegen den Verfall dieses Instrumentes tun, das ihnen auf lange Sicht viel Geld sparen hilft und sie keineswegs nur kostet.