Die Orientierung gilt der Welt

Zu den Bauten von Baumschlager und Eberle

1.
Die Entwicklung eines Architekturbüros lässt sich von außen und innen betrachten. Von außen gesehen kann man leicht ausmachen, wie sich eine formale Haltung herausgebildet hat, welche Vorlieben an Materialien entwickelt wurden und ob eine Spezialisierung auf gewisse Bauaufgaben erfolgt ist. Solche Beobachtungen sind aber nur begrenzt interessant. Denn ohne die Sicht von innen, die Selbstsicht der Architekten also, bleibt eine solche Analyse unvollständig.
Wer wie Baumschlager Eberle für sich in Anspruch nimmt, eine Baulösung vom Ort der Bauaufgabe über die städtebauliche Konfiguration bis zur Konstruktion, Gestaltung der Hülle und schließlich der Funktion anzugehen – und zwar immer in dieser Reihenfolge –, für den kann Bauen nur stete Weiterentwicklung sein. Zudem besitzt Baumschlager Eberle eine gehörige Portion des „Möglichkeitssinnes“, den der Schriftsteller Robert Musil dem Wirklichkeitssinn gegenüberstellt. Er attestierte solchen Menschen „einen Bauwillen ..., der die Wirklichkeit nicht scheut, wohl aber als Aufgabe ... behandelt.“1
Als weltbewegliches Büro ist Baumschlager Eberle auch ständig lernend. Die Richtung einer Architektur zwischen Experiment, Zukunftsforschung und wirtschaftlicher Glaubwürdigkeit lässt keine andere Möglichkeit offen. Von den Anfängen an arbeitet Baumschlager Eberle auf höchstem logischen und analytischen Niveau. Natürlich waren die ersten Bauaufgaben kleiner, stärker regional als international, die Palette an verwendeten Materialien nicht so groß wie heute, die Methoden der Ressourcenoptimierung nicht so durchkalkuliert wie gegenwärtig. Aber die grundsätzliche Haltung war gleich, „wirkungswerte Bauten“ zu schaffen, die ökonomisch, technisch und emotional nachhaltig sind.

2.
Kreativität lebt vom Vergleich. Dass die Globalisierung für die Architektur aber eine Steigerung der Beliebigkeit bedeutet und eine zunehmende Gefahr der Nivellierung, haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt. Die weltweite Vereinheitlichung – in gewisser Weise sogar notwendig – wird von niemandem wirklich geschätzt.. Sicher wurde Baumschlager Eberle wie andere Architekturbüros in Vorarlberg mit Bauten bekannt, deren eigenartige Qualität auch der Pflege baulicher Tradition und einer präzisen Auseinandersetzung mit dem Ort und der Gesellschaft erwuchs. Aber Baumschlager Eberle blieb dabei nicht stehen. Die Orientierung gilt der Welt.
Jede bedeutende Entwicklung in der Architektur braucht als Voraussetzung die Begegnung mit dem Neuen, dem Anderen, dem Fremden. Wer als Architekt vorhandene Lebenswelten optimieren will, kann dies nur mit dem Blick nach vorn und über die Grenzen. Um Eigenart zu entwickeln, bedarf es der Orientierung und des Ganges nach außen – so wie sich früher Handwerksburschen am Ende der lokalen Lehre auf Wanderschaft begaben, um in der fremden Welt Erfahrungen zu sammeln. Auch für Baumschlager Eberle ist es kein Widerspruch, lokal verankert und dennoch Weltbürger und Vielreisender mit Heimat an einem Ort zu sein.

3.
Ohne Genius Loci keine gute Architektur. Gutes Bauen ist immer ein Arbeiten im Kontext und Ausdruck einer Auseinandersetzung mit einem konkreten Ort. Baumschlager Eberle kennt seinen Heidegger, der in „Bauen Wohnen Denken“ ausführt, dass Denken untrennbar mit Ortserfahrung verbunden ist. Ohne beides kein Gefühl von Heimat. Der Mensch baut von konkreten Orten her seine Beziehung zur Welt auf, auch und immer wieder und vor allem in Zeiten zunehmender Heimatlosigkeit.

Das Verständnis für einen Ort ist nicht einfach da. Es will erarbeitet werden, mit Neugierde und Akribie. Orte erzählen eine Geschichte und eine Realität, die in ihren Formen und ihrer Präsenz zutage tritt. Aber über ihre materielle Beschaffenheit hinaus werden Orte von kulturellen Befindlichkeiten geprägt. Diese zu verstehen zu suchen, verlangt von Architekten gerade in fremden Gesellschaften und an fremden Orten Sensibilität, Respekt und Erfahrung. Es gibt keine Orte ohne Geschichte. Aber viele Orte sind sich ihrer selbst heute entfremdet. Nur ein solches Bauen, das die Bedingungen des Lebens und eines Ortes auslotet, können Menschen sich aneignen. Eine schrille, schräge Architektur mag temporär größere Begeisterung wecken als ein eigentümlicher Bau. Nur ein Gebäude, in dem sich Geschichte zu einem Ort verdichtet, wo die eigene Zeit mit einer früheren in Konstellation tritt, macht Identifikation möglich. Identifikation findet prinzipiell dort mit einem Objekt statt, das so charakteristisch ist, dass es Eigenart hat, und so grundsätzlich, dass es gar nicht anders sein kann. Baumschlager Eberle nennt dies eine „Architektur, die sich um Orte kümmert“.

4.
„Wie wird Atmosphäre konstruiert? Atmosphäre beginnt offenbar genau dort, wo die Konstruktion endet. Sie umgibt ein Gebäude, haftet seiner Materie an. Tatsächlich scheint sie dem Objekt zu entströmen. Sie ist gewissermaßen eine sinnlich wahrnehmbare Emission von Schall, Licht, Wärme, Geruch und Feuchtigkeit; ein wirbelndes Klima nicht greifbarer Effekte, die von einem stationären Objekt erzeugt werden.“³
Wer die Bauten von Baumschlager Eberle betrachtet, der mag manchmal an ihrer Atmosphäre zweifeln. Das hieße jedoch, Atmosphäre als Ergebnis formaler Reize zu verstehen und nicht als Ergebnis einer begründbaren Architektur von befreiender Klarheit. Stimmige und ausgewogene Gebäude können auf künstlerische Allüren verzichten, die häufig ohnehin nichts anderes als verbrämte Gleichgültigkeit sind. Unter stimmigen Bauten würde ich solche verstehen, bei denen alles aufeinander verweist: der Ort, die Form, der Gebrauch; bei denen die Dinge zu sich gekommen sind. „Ob die Menschen sich dessen ... bewusst sind oder nicht, sie beziehen Zuversicht und Nahrung aus der Atmosphäre der Dinge, in oder mit denen sie leben. Sie wurzeln darin wie eine Pflanze in ihrem Boden.“4 Und Architekten als diejenigen, die diese Atmosphäre planen, müssen um Grundlagen und Wirkungen wissen.

5.
Minimalisten seien sie nicht, meint Dietmar Steiner und hat sicher recht damit. Zwar folgen die teilweise rigorose Klarheit, Rationalität sowie gleichzeitige Prägnanz, Strenge und Eleganz der Bauten von Baumschlager Eberle einem minimalistischen Ansatz, aber es geht den Architekten nicht um die Umsetzung eines – wenn auch hochwertigen und reduzierten, aber geschlossenen – Formenkanons, sondern um die Erneuerung der Architektur aus einem rational deduzierten Prozess. Deshalb sind und müssen ihre Lösungen je nach Ort und Aufgabe auch immer wieder anders sein. Einfachheit und Reduktion sind dabei die kategorischen Imperative ihres ästhetischen Handelns.
„Alle Projekte sind in der authentischen Sprache ihres Materials für die jeweilige Situation gedacht. Ausgereizt bis zur Perfektion“, so beschreibt Steiner eine Haltung und einen Zugang, den er früher mit „realistischer Programmatik“ benannte. Wenn dabei einzigartige Architektur herauskommt, umso besser, denn auch der rationalste Prozess hat schließlich ästhetische Folgen. Formale Willkür gibt es im Œuvre von Baumschlager Eberle nicht. Das ist es, was auch Mies van der Rohe meinte, wenn er davon sprach, dass er hart daran arbeite herauszufinden, was er tun müsse, nicht was er tun möchte.

1. Robert Musil, Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn, in: Wahrnehmen, Staunen Begreifen, Hg. Jutta Köhler, Monika Krah-Schulte, Stuttgart 2005, S. 116 ff.
2. Peter Sloterdijk, Der ästhetische Imperativ, Hg. Peter Weibel, Hamburg 2007, S. 244 ff.
3. Mark Wrigley, Die Architektur der Atmosphäre, in: Daidalos 68, 1998, S. 18.
4. Frank Lloyd Wright, in: Ludwig Fromm, Architektur und sozialer Raum. Grundlagen einer Baukulturkritik, Kiel, 2000, S. 80–81.