Von der Trinkhalle zum Niemandsland

Zwei Ausstellungen

Zwei sehenswerte Ausstellungen, die inhaltlich eigentlich nichts miteinander gemein haben, ausser daß sie Themen der Architektur im weitesten Sinne behandeln. Die künstlerisch sicher wertvollere Ausstellung ist „Das Land-in-between“, Fotografien von Ursula Schulz-Dornburg aus den Jahren 1980-2012, zu sehen bis zum 9. September 2018 im Städel Frankfurt. Die andere Ausstellung zeigt 70 „Trinkhallen im Ruhrgebiet“ in Fotografien von Reinaldo Coddou H. und ist ebenfalls bis zum 9. September in Bochum im LWL Industriemuseum zu sehen.

Die Ausstellung über die Trinkhallen, die auch Büdchen, Kiosk oder Seltersbude genannt werden, gehören in ihrer Buntheit zu den typischen kleinbürgerlichen Bauten des Ruhrgebietes und sind ein Stück „Revierfolklore und -kolorit.“ Egal ob sie heruntergekommen und kitschig sind, die Büdchen, die in anderen Teilen Deutschlands fast vollständig verschwunden sind, bedeuten im Ruhrgebiet noch immer Heimat, sie sind lokaler Treffpunkt, vielleicht sogar „Orte der Leidenschaft“, wie der Fotograf meint. Leidenschaft für diese Büdchen aufzubringen mag übertrieben sein, aber geliebt werden sie ohne Zweifel.

Ursprünglich geschaffen im 19. Jahrhundert, um im Zuge der Industrialisierung Bürger und Arbeiter mit Mineralwasser zu versorgen,
mutierten sie mit der Zeit zu kleinen Verkaufsläden, wo Zigaretten, Zeitschriften, Süßwaren und ganz normale Alltagsartikel erworben werden konnten, die man vergessen hatte, in einem regulären Geschäft zu erwerben. Im Übrigen waren die Büdchen nicht selten bis spät in die Nacht geöffnet.

Obwohl sie Konsumarchitektur waren, kannte der Betreiber eines Büdchens seine Kunden, ihre Vorlieben, Gewohnheiten und nicht selten auch ihre Geheimnisse .Büdchen waren und sind im Ruhrgebiet für alle da, für Junge und Alte, für Männer und Frauen und werden meistens von Frauen betrieben.

Die Büdchen sind keine große Architektur, im Gegenteil, sie sind meist alles andere als schön wie in südlichen Ländern oder gar elegant wie in Paris, sondern meist bunt, barock überdekoriert, kitschig. Doch sie strahlen Gemütlichkeit aus und wirken aufs „Gemüt“. Die Büdchen sind vertraute Orte des Alltags, die allerdings zunehmend aus dem funktionalen Gefüge der Stadt herausfallen.

Während Coddous Fotografien buntes Leben abbilden, sind die Fotos von Schulz-Dornburg schwarz-weiß, nackt, minimalistisch, von kühler Schönheit und grosser Distanz. Sie wurden vor allem in Eriwan, in Palmyra, Kasachstan und im Iran gemacht, Länder mit sowjetischer Vergangenheit bzw. Austragungsorte von Kriegen der letzten Jahre. Der Titel „ Land-in-between“, also Land dazwischen, meint wohl, daß die abgebildeten Gegenstände, die veralteten Bushaltestellen, die wenigen Mauerreste und Häuser wie aus der Zeit gefallen scheinen und ein örtliches Nirgendwo bezeichnen, das geografisch kaum festzumachen ist. Die Vereinzelung der fotografierten Gegenstände hebt sie gleichzeitig hervor und betont sie dadurch in ihrer ruinösen Schäbigkeit.
Die Fotos erinnern an surreale Wirklichkeiten, an untergegangene Realitäten. Die Frau und das Kind, die unter dem nackten Gestell einer Bushaltestelle im Nirgendwo warten, beleben die Bilder nicht etwa, sondern wirken genauso unwirklich wie die Haltestelle selbst. Ob hier je wieder ein Bus fährt, ist ungewiß, aber auch bedeutungslos.  Die Wirklichkeit ist erstarrt in Raum und Zeit, Anspielungen auf Leben finden nicht statt.

Die Ausstellung schlägt dem Besucher aufs Gemüt, sie macht traurig und ratlos und läßt ihn einsam zurück. Daß aus diesen Mondlandschaften je wieder bewohntes und lebendiges Territorium werden könnte, ist kaum vorstellbar.