Schön und weitgehend unbekannt

Das Schnütgenmuseum in Köln

Das Schnütgenmuseum, das seit den 1950iger Jahren in der romanischen Kirche St.Caecilien untergebracht ist, beherbergt eine der eindrucksvollsten Sammlungen christlich-mittelaterlicher Kunst in Europa. Zwar ist der Name Schnütgen in Köln bekannt ,aber die Sammlung kennt kaum jemand. Das Museum ist gewöhnlich so leer wie katholische Gottesdienste.

Dabei wäre die Sammlung, die der Domkapitular Alexander Schnütgen 1906 der Stadt Köln schenkte, jeden Besuch wert, Der Raum der Kirche ist exzellent für die Exponate, die Ausstellung, die sensibel im Chor und entlang der Mittelachse der Kirche arrangiert ist, ist hochinteressant, es gibt einen guten Katalog und ein interessantes Tablet für die Besichtigung.

Die Schwellenangst gegenüber dem Museum hat voraussichtlich mit falschen Vorstellungen der dort ausgestellten Kunst zu tun. Man fürchtet wahrscheinlich jede Menge gekreuzigter Christusfiguren, süsse Madonnen mit Jesus auf dem Arm, kitschige Heilige und überladene Monstranzen und Abendmalkelche. Aber dies ist überhaupt nicht der Fall.

Nicht alle Ausstellungstücke sind todernst und weihevoll, viele spiegeln den Alltagsglauben in durchaus fröhlichen Exponaten wider. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist die fast lebensgroße Plastik des sog.Palmeselchristus (ca.1500). Ein freundlich dreinschauender, hölzerner Christus hockt auf einem Esel; er  wurde in Prozessionen mitgeführt, ein Brauch, der um ca.1000 n. C. entstand.

Christliche Kunst, ars sacdra, ist eine besondere Richtung innerhalb der Kunstgeschichte. Sie entstand im 5. – 6. Jahrhundert. Nach anfänglichen Zweifeln, ob sich wegen der Bildlosigkeit der jüdischen Religion, die die Anfänge des Christentums stark beeinflußte, eine christliche Bildsprache überhaupt entwickeln könnte, setzte sich die antike Freude am Bild durch. Das führte dazu, daß im Abendland des frühen Mittelalters  buchstäblich jede Kunst christliche Kunst war.
Ausschließlich religiöse Motive sind der Inhalt dieser Kunst, deren Ziel Mahnung und Vorbildhaftigkeit ist. Mit der Trennung der Ost- und Westkirche im Jahre 1054 driftete auch die Kunst auseinander. In der byzantinischen Kirche im Osten entwickelte sich die weitgehend einheitliche Ikonenmalerei, die wir bis heute kennen, und im Westen nach zaghaften Anfängen eine individuelle Darstellung auch bei Kreuzigungen, Marienporträts und Heiligendarstellungen.

Im Eingangsbereich der von Karl Band umgebauten Kirche, die nach dem Krieg als erstes Museum Kölns wieder eröffnet wurde, beweisen unterschiedlichste Werke die Entwicklung der frühen christlichen Kunst aus der antiken. Römische Sarkophage, deren Bildsprache christlich übersetzt wird, symmetrische Darstellungen wie in griechischen Giebeln, wo die zentrale Figur des Apollo oder der Athena durch Christus ersetzt wird, Statuen, deren Hüftschwung und Kleiderfall direkt aus Griechenland übernommen scheinen, zeigen eine gradlinige, wenn auch verzögerte Entwicklung.

Die eigentliche Ausstellung beginnt mit einer Erklärung der Handlungen in der Heiligen Messe und einer Vorstellung der unterschiedlichen Gewänder, die der Priester dafür anlegt. Gottesdienst ist ein Fest für den Gläubigen, und die kostbarsten Kleiner sind dafür gerade gut genug. Kultische Gewänder spielen deshalb in fast allen Religionen eine große Rolle.

Während die Römer nach dem Zusammentreffen mit den Germanen ihre Togen aufgaben und die von den Germanen getragenen Hosen und Hemden übernahmen, behielt die christliche Liturgie die Kleider bei. Die priesterlichen Gewänder, auch „Rüstung Gottes“ genannt, wurden beim Anlegen von Gebeten begleitet. Dahinter steht die auch bei Mysterien und Einweihungen praktizierte Vorstellung, daß wer von einem Grad in den nächsten aufsteigt das ihm übergebene neue Kleid nur tragen darf, wenn er geläutert und reinen Herzens ist.

In der Messe ist der Priester ein anderer Mensch mit einem neuen Wissen, der sein altes Selbst für die Dauer des Rituals  hinter sich läßt. Der Kamm des Hl.Heribert (9.Jahrh.),eine exquisite Elfenbeinarbeit in der Tradition der Phönizier und eines der schönsten Stücke der Schnütgensammlung, diente dazu, dem Priester nach dem  Anlegen der Messgewänder die Haare als Zeichen der Ordnung zu glätten, um deutlich zu machen, daß auch in seinem Kopf Klarheit herrschte.

„Daß alles Irdische eitel ist“, wußte man lange vor Martin Luther. Deswegen taucht die antike Vanitassymbolik in Totenschädeln, Skeletten und erloschenen Kerzen als Zeichen der Vergänglichkeit= memento mori – auch in der christlichen Kirche auf. Das Schnütgenmuseum besitzt einige besonders schöne Stücke. Die Symbolik soll den Menschen besonders in der Renaissance, als er sich anstelle von Gott als Mittelpunkt der Welt entdeckte, demütig stimmen und daran erinnern, daß alles im Leben nichtig ist und nur das Jenseits zählt.

Wer die Kölner kennt, kennt den Klüngel. Daß man noch so intelligente und integre Kölner Entscheidungsträger nicht ohne kirchlichen Beistand lassen sollte, scheint man schob im späten Mittelalter gewußt zu haben. Dies verraten acht hölzerne Statuen von Propheten. Sie umstanden die Kölner Ratsherren bei ihrer täglichen Arbeit, und jeder von ihnen winkte mit der Eigenschaft, für die er stand. So trägt einer in seinen Händen den Ausspruch, „wer für die Gemeinschaft stirbt, soll ewig leben“. Eine ständige Mahnung an die Ratsherren, sich nicht vom geraden Weg abbringen zu lassen und zu klüngeln.

So sehr man solchen Beistand im Alltag gebrauchen kann, so sehr erinnert einen das Fragment eines sog. wilden Mannes an ganz andere Gefahren. Welche Rolle spielt so eine Figur in der Kirche? Der komplett behaarte wilde Mann verkörpert die triebhafte, scheinbar hinterhältige  Naturkraft, die sich ausserhalb der Gesellschaft stellt. In der Antike gehörte der wilde Mann oder auch die wilde Frau in das Umfeld des Dionysos mit seinen unbeherrschten sexuellen Umtriebigkeiten. Der wilde Mann ist ursprünglich Teil eines Beichtstuhls, wo er wohl über die sittliche Ernsthaftigkeit der beichtenden wachen sollte.

Das Schnütgenmuseum beherbergt eine Reihe sehr schöner hölzerner Heiligenfiguren wie den sehr menschlichen Hl.Petrus (1315), dessen wunderbar erhaltene Farbigkeit eine starke Lebendigkeit suggeriert.
An diesen Skulpturen zeigt sich, wieviel natürlicher farbige Holzskulpturen im Vergleich zu bemalten antiken Marmorstatuen wirken.

Anrührend die zahlreichen Ursulabüsten – das Museum besitzt 30 Exemplare – die zwischen 1300 und 1450 als Reliquare angefertigt und in ganz Europa verbreitet wurden. Die Legende von der Heiligen Ursula, einer britischen Königstochter, die mit angeblich 11.000 Jungfrauen in Köln den Märtyrertod starb, festigte das Renommé der Stadt als internationalem Reliquienzentrum. Von großen antiken Gräberfeldern am Rande der Stadt bezog man immer neue Knochen. Und niemand fragte nach deren Herkunft von Heiligen oder normalen Toten. Aber so kam es wohl zu der wundersamen Vermehrung der 11 Begleiterinnen Ursulas in eine Legion von 11.000, die angeblich mit ihr starben.
Die Marienstatuen im Besitz des Museums zeigen keineswegs nur die Mutter Jesu mit dem Baby oder dem totem Sohn auf dem Schoß. Sie zeigen Maria als junges Mädchen im Stil des frühen Mittelalters mit hoher Stirn, kleiner Nase und rasiertem Haaransatz oder als elegante junge Frau, schön und anziehend, und machen die Bandbreite des Ausdrucks deutlich, bevor Maria in der Renaissance nur noch als trauernde oder treusorgende Mutter dargestellt wurde.
Von allen Kruzifixen im Besitz des Schnütgenmuseums ist ein hölzerner Torso von St.Georg aus dem 11.Jahrhundert der faszinierendste. Der ausgemergelte Schmerzensmann ist so ausdrucksstark und gleichzeitig so minimalistisch, daß er den Betrachter erschüttert. Das gestalterische Gegenteil sind die beiden völlig geschlossen wirkenden Figuren von Maria und Johannes, die an archaische oder ägyptische Skulpturen erinnern, blockhaft und streng, ohne jede Bewegung in ihren Körpern.
Im völligen Gegensatz dazu der Altaraufsatz des grossen Kalvarienberges mit seinen dramatischen und individuell porträtierten Personen. Die bühnenartige Staffelung der Komposition gipfelt in der Kreuzigung, während eine Gruppe von drei trauernden Frauen den Vordergrund bildet. Diese Gruppe des Reliefs wurde lange getrennt von der Gesamtdarstellung in einer privaten Sammlung der Schweiz aufbewahrt. Seit einer gründlichen Renovierung vor wenigen Jahren wurden beide Teile wieder zusammen gefügt.

Auf vielen Reliefs und Gemälden des 13. – 14.Jahrhunderts tauchen immer wieder architektonische Elemente auf, auch wenn die Architektur selbst nicht das Thema ist  Diese verweisen auf die sog. ecclesia, aber nicht nur als Gemeinde von Menschen, sondern auch auf das Kultgebäude Kirche selbst.

Mit der Entwicklung der Gotik bildet sich das Thema des „Himmlischen Jerusalems“ heraus, einer Art Himmelsvorstellung, in der Gott am Ende der Welt wohnen und thronen wird. In der Offb.21.1-5 wird diese Stadt so beschrieben: „Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen…Da hörte ich eine …Stimme rufen: Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein“. Und weiter: „Das Himmlische Jerusalem wird eine Stadt sein, ist aus reinem Gold und wird wie ein kristallklarer Edelstein Jaspis glänzen. Sie ist würfelförmig angelegt. Die Stadt hat eine große Mauer, die in jeder Himmelsrichtung drei Tore mit je einem Engel darauf hat… Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt….“ .Die großartigen gotischen Kathedralen, die alle bisherigen Kirchen in Europa an Höhe und Pracht in den Schatten stellten, waren die geeigneten Bauwerke, den grandiosen Vorstellungen eines Palastes Gottes und einer himmlischen Stadt aus dem Alten Testament Gestalt zu verleihen.

Zum Schluß ein verhältnismäßig einfaches, aber sehr schönes Exponat: die Krümme eines Bischofsstabes, die aus den kostbaren Monstranzen und Kelchen des Museums heraussticht. Sie stammt aus dem Limoges des 12.-13.Jahrhunderts und stellt in blaufarbigem Email den Kampf eines Drachens mit dem Hh.Michael dar.

Der Stab mit der Krümmung an seinem Ende gehört zu den ältesten Herrschaftszeichen und Symbolen. Ursprünglich ein schlichter Hirtenstab, mit dessen Krümme Tiere eingefangen wurde, avancierte er im 3.Jahrtausend zu einem der wichtigsten Insignien des ägyptischen Pharaos. Im Christentum wurde er auf Grund der Assoziation von  Christius als Hirten zum Bischofsstab und damit zum Herrschaftszeichen kirchlicher Würdenträger.

Er verrät eine Menge über die Entwicklung der Kirche und ihres Machtbewusstseins. Anfänglich wurde der Stab mit der Krümme auf den Körper und das Herz seines Trägers gerichtet getragen. Dies betonte die Innerlichkeit und Demut des Amtes. Mit zunehmendem  weltlichen Anspruch der Kirche wird die Krümme nach aussen gewendet, zur Welt, zur Macht. Wissen eigentlich die Bischöfe davon?