Kengo Kuma

Ton und Gefühl machen den Bau

Einige Architekturkritiker wie Mathias Alexander, der für die FAZ schreibt, hatten gehofft, daß der weltberühmte Pritzker Preis 2023, sogenannter Nobelpreis der Architektur, dem japanischen Architekten Kengo Kuma zuerkannt werden würde. Aber sie hatten sich getäuscht, sein Landsmann Riken Yamamoto wurde ausgezeichnet. Dabei ist die Preisverleihung an Kengo Kuma überfällig. Zwar ist er in Deutschland so gut wie unbekannt und nur Eingeweihten ein Begriff, aber im Rest der Welt schätzt man ihn hat mit ihm gebaut und ist des Lobes voll. Denn Kengo Kumas Architektur ist einmalig, voller Phantasie, ausdrucksstark und vielfältig, kraftvoll und poetisch gleichzeitig.

Die exquisite kleine Ausstellung in der Bundeskunsthalle (bis 1. September), die von der Architekturbiennale 2023 in Venedig übernommen wurde, zeigt an übergroßen, wunderschönen Modellen und Fotos eine Auswahl Kengo Kumas bester Bauten. Wen deren erlesene Qualität nicht erfreut und überzeugt, dem ist nicht zu helfen.

Der Architekt, der 1954 in Yamamoto geboren wurde, lässt sich keiner Richtung der heutigen Architektur zuordnen. Er selbst nennt sich einen Materialisten aber dieser Begriff wird nicht wirklich erklärt. Kuma liebt nachhaltige Materialien wie Holz, Stoff und Papier, wie sie schon in der historischen japanischen Architektur vorkommen, in dessen Tradition Kengo Kuma sich sieht. Beton lehnt er ab, den sein Architekturkollege Tadao Ando allerdings zu vollkommenen Kunstwerken verarbeitet.

Nach Kengo Kumas Meinung entfremdet der Beton den Menschen von der Natur, weshalb er für seine Häuser weiche und leichte Materialien bevorzugt und harten Beton nur im äußersten Notfall verwendet. Jeder seiner Bau ist aus einem anderen Material, und auch  die Gestaltung unterscheidet sich bei jedem Gebäude. Für Kenzo Kuma ist es wichtig, dass wo immer auf der Welt er baut, dies mit lokalen Materialien geschieht. Er reist nicht mit einem festen Katalog von Formen und Materialien im Kopf an, sondern sucht die Unterstützung örtlicher Handwerker und entwickelt mit diesen die Bauten vor Ort.
 
Kengo Kumas Architektur stellt den Bau und den Menschen, für den er bestimmt ist, auf eine Stufe. Für ihn ist ein Architekt nicht der große Künstler, dessen Werk Menschen andächtig bestaunen sollen. Ein Gebäude muss in die jeweilige Umgebung passen und ebenso für die Menschen richtig sein. Der Verzicht auf Beton und die Bevorzugung leichter Materialien machen seine Bauten leicht und scheinbar bewegt. Dazu trägt auch das Licht als eines seiner wichtigsten Baumaterialien bei. Kuma inszeniert Licht als eine Helligkeit ohne scharfe Konturen,  wie dies auch die alte japanische Baukunst tut.

Die Bauten Kengo Kumas versteht man auch ohne seine Bauphilosophie. Allerdings nicht vollständig. Wer tief in diese eindringen will, muss sich mit dem Thema der Onomatopoesie beschäftigen. Übersetzt  ist das Lautmalerei, die ein rhetorisches Stilmittel ist. Es handelt sich dabei um eine sprachliche Nachahmung von aussersprachlichen Lauten und Geräuschen. Im Deutschen ist  die Verwendung dieser Lautmalerei häufig und verbreitet. Sie reicht von „Blablabla“über „plopp“, „Kuckuck“ bis hin zu „Tirilieren“. Christian Morgenstern und Erich Kästner haben sie geliebt.

Kengo Kuma will mit seinen Bauten, Formen und Materialien lautmalerisch Gefühle materialisieren und nicht zuletzt  kategorisieren. So weit, so gut für einen Architekten, der nicht nur den Sehsinn, sondern auch den Tast-, Hör- und Geruchssinn des Betrachters ansprechen will. Kuma hat  deshalb für den Dialog zwischen Mensch und Material 13 „Schlüsselbegriffe“ erfunden, die das lautmalerische Vokabular seiner Architektur bilden. Durch die Verdoppelung der Bezeichnungen im Japanischen werden diese Begriffe noch seltsamer als sie ohnehin sind. So steht „Guru, Guru“ für eine Architektur, die einem Wirbel oder einem Tornado gleicht, „Maja, Maja“ für Bauten, deren Merkmale Wellen und Linien bilden.

Das Unverständnis westlicher Zuhörer bei einem Vortrag Kengo Kumas läßt sich nachvollziehen, wenn der Architekt die Werkstoffe seiner Architektur und ihrer Formen nach ihren unterschiedlichen Fähigkeiten „Suke, Suke“ (jhorizontal, Ebene) oder „Gaza, Gaza“ (Festigkeit, verschachteln) nennt. Die Erklärung von Mathias Alexander (FAZ Nr.60,2024), dass Kengo Kumas Definition von Architektur seine Art widerspiegele, „die seelische Verarmung, die mit der Moderne einher gegangen ist, zu überwinden,“ mag da nicht ganz falsch sein.

Jedenfalls braucht es zum Verständnis der Bauten Kengo Kumas kein lautmalerisches Wissen, sondern nur  Unvoreingenommenheit und Neugierde. So erinnert die Konstruktion des Asakusa Kultur-und Touristenzentrums in Tokio (2012) an eine mehrstöckige Pagode. Die Holz-Glas-Konstruktion wirkt wie übereinander gestapelte Fassaden unterschiedlich hoher Häuser. Verschachtelte Holzelemente der Außenverkleidung filtern des Licht ins Innere und erwecken den Eindruck als würde die Fassade tanzen. Dass Kuma dies „PataPata“ nennt, ist für die Wertschätzung dieses Baus unerheblich.  

Die kreisförmige, leicht wirkende Konstruktion des Darling Exchange in Sydney (2019), dessen Fassade aus dünnen Holzbrettern besteht und einer Spirale ähnelt, die sich dann bildet, wenn z.B.Wasser aus einer Badewanne abfließt und sich dabei verwirbelt, ist für Kuma „GurruGuru“,
für den Betrachter aber eine filigrane Bauskulptur, die einem Tornado gleicht. Und sehenswert ist.