Die eine Woche Anfang Mai war gut gewählt. Kein langes Wochenende in Sicht, keine Schulferien in Europa. Folglich war Madrid nicht von Touristen überlaufen. Ja, wenn man sich die Schlangen vor dem Prado, dem Museum Reina Sofia und Thyssen-Bornemisza wegdachte, hatte man das Gefühl, man sei allein unterwegs.
Jeder Tourist wünscht die anderen zum Teufel. Aber an einem interessanten Ort allein zu sein, wird immer schwieriger. In diesen unruhigen Zeiten, in denen die Welt rund um das Mittelmeer wegen Bürgerkriegen, Umstürzen und islamischem Terror für Touristen schrumpft und sich ein Kurzurlaub auf immer weniger Städte konzentriert, bleibt die Vorstellung von wenigen anderen Besuchern ein Traum.
Das Barrio Salamanca ist ein guter Stadtteil, um in Madrid einige Tage zu verbringen. Nicht etwa wegen der teuren Boutiquen oder der zahlreichen Restaurants - Salamanca ist eines der besten Viertel Madrids - sondern wegen der schönen Architektur um 1870, der begrünten Strassen und eines rechtwinkligen Grundrisses, in dem man sich bestens zurecht findet. Das Viertel wurde von José de Salamanca gebaut, als die mittelalterliche Stadt aus den Fugen platzte und keine freien Grundstücke mehr aufwies. In Salamanca entstanden die damals modernsten Häuser Madrids mit den ersten Wasserklosetts und Warmwasser in Küchen und Bädern. Der Investor baute die erste elektrische Strassenbeleuchtung und von Pferden gezogene Strassenbahnen. Aber er fand wenig Anerkennung. Am Ende seines Lebens hatte er sein ganzes Geld in das Barrio gesteckt und war ruiniert. Er starb als armer Mann.
Zu den Sehenswürdigkeiten Salamancas zählen die 1934 fertig gestellte Stierkampfarena Las Vestas mit ihrer grandiosen Fassade im maurischen Mudejarstil und - ein wirklicher Geheimtipp - die imposante Nationalbibliothek mit einem angeschlossenen kleinen Museum - ein Muss für Buchliebhaber.
Wer auf Tapas steht und die gewöhnlich exorbitanten Preise nicht zahlen will, ist im El Rincon de Goya (Lagascia 48) gut aufgehoben. Die Taverne ist klein und sehr gemütlich, die Liste der Tapas lang und das Publikum einheimisch.
Ausser den drei erwähnten Museen, dem Parque del Buon Retiro und dem Bahnhof Atocha, der zu einem tropischen Garten mit exotischen Pflanzen und Palmen umgebaut wurde, gibt es in Madrid wenige Einzeldenkmäler, auf die man nicht verzichten könnte. Ein Gebäude vergleichbar der Sagrada Famila in Barcelona, die nicht zu besuchen eine Todsünde wäre, existiert in Madrid nicht. Hier ist die Bühne die ganze Stadt.
Madrid muß man unter die Füße nehmen, um diese Bühne wirklich kennen zu lernen. Das kann ermüdend sein, denn die grossen Boulevards und die sehenswerten Plätze der Stadt mit ihrer eindrucksvollen Architektur, ihren Platzanlagen und den Brunnen und Plastiken darauf machen staunen. Wer nach einem vier- bis fünfstündigen Fußmarsch erschöpft zusammenbricht und den Rückweg ins Hotel zu Fuß nicht machen will, der darf dann auch ausnahmsweise die U-Bahn benutzen. Sie ist schön, relativ neu, weitläufig, effizient, schnell und … sauber. Der Deutsche staunt und fühlt sich wohl!
Madrid ist reich an guter alter, jedoch nicht an moderner Architektur. Und diese ist auch keineswegs immer qualitätvoll wie z.B. der Torre Caja Madrid von Norman Foster, der mit 250m das höchste Gebäude Spaniens ist. Zu den spannendsten architektonischen Neuerungen gehören die Erweiterung des Eingangsbereiches des Prado von Rafael Moneo, einem der besten spanischen Architekten. Von ihm stammen auch die Umbauten der Atochastation sowie das Museum Thyssen-Bornemisza. Für die Vergrößerung des Museums Reina Sofia ist Jean Nouvel verantwortlich, doch seine Architektur stimmt ambivalent. Die neue Erschließung durch zwei strenge Aufzugstürme vor der alten Fassade ist perfekt, der Anbau des Restaurants und dessen Design eine kitschige Zumutung.
Und dabei kennt man sich in Madrid ähnlich wie in Wien mit gemütlichen Restaurants und vor allem Kaffeehäusern aus. Zwar nehmen die Orte, in denen man abseits von Hektik und Lärm in aller Ruhe Zeitung lesen und dazu Kaffee und köstliche Törtchen geniessen kann, immer schneller ab und an ihre Stelle treten eintönige Räume von Ketten, die in ganz Europa zu finden sind. Aber noch gibt es einige wenige nostalgische Paradiese in Art Nouveau mit geschliffenen Spiegeln und Stuckdecken, in denen die Zeit still steht. Aber man muss sie suchen, und niemand kann garantieren, dass sie beim nächsten Besuch noch existieren und nicht dem allgemeinen Modernisierungswahn zum Opfer gefallen sind.
Bei diesem Besuch in Madrid war das Aufregendste die Picassoausstellung “Mitleid und Schrecken“ im Museum Reina Sofia anläßlich des 8o. Jahrestages der Zerstörung von Guernica am 26. April 1937.
Guernica war die heilige Stadt der Basken, die Stätte der ältesten Demokratie Westeuropas. Am Tag ihrer Bombardierung durch die Deutschen war die kleine Stadt mit 6000 Einwohnern voller Flüchtlinge, die Angst vor politischer Verfolgung, Gefängnis, Folter und Tod hatten. Als die Sonne untergeht, brennt die völlig zerstörte Stadt, die von Hitler „als Truppenübungsplatz für seine junge Luftwaffe“ (GA 22.4.17) genutzt wurde. Der Kommandant des Luftangriffs, Wolfgang Freiherr von Richthofen, kommentierte sein Tun: „Buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Einfach toll.“ Hans Wandel, ein junger Pilot, übertraf ihn noch, als er schrieb: „Ein Gefühl unbeschreiblicher Macht. Es ist die absolute Erregung und Befriedigung“.
Picassos Bild Guernica, das er für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 malte, versucht, die Schrecken und das Entsetzen des 26. April künstlerisch zu fassen. Sein zeitloses Mahnmal gegen Krieg und Gewalt kennt heute jeder.
Die Ausstellungsmacher zeigen das riesige Bild - 3,49 mal 7,77 Meter – inmitten zahlreicher, teilweise unbekannter Bilder Picassos, die Brutalität und Zerstörung des Menschen zum Thema haben. Man verläßt die großartige Ausstellung verstört und deprimiert über die vergangenen und gegenwärtigen menschenverachtenden Kriege.