Die Bodenseereiterin

Ein Fund aus früheren Zeiten

Seit rund drei Jahren serviert man im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main einen vorzüglichen Espresso. Sommers kann man damit im Freien sitzen. Vorbei an den braunroten gedrungenen Vierkanten des Oswald M. Ungers, die nun ganz und gar nicht mehr einschüchtern, schaut man auf den Main und die Skyline, die seit kurzem Pate des ersten „Internationalen Hochhauspreises“ ist. Für ihn wie für die Gastfreundlichkeit ist Ingeborg Flagge verantwortlich, seit dem Jahre 2000 Direktorin des Architekturmuseums.

Sie hat vieles verändert in dem berühmten, von den Stadtoberen oft linkerhand behandelten Haus. Mit einer Tatkraft, die einem zuweilen den Atem nimmt, hat sie für Dauerbetrieb gesorgt, hat gewichtige, repräsentative Ausstellungen am Mainufer und intime im nahen Schaudepot organisiert, hat internationale wie regionale architektonische Tendenzen dargestellt, flaniert von Vortragsreihen, Werkberichten, Lesungen und Podiumsdiskussionen, für die sie sich auch Hans Poelzigs expressives Casino des einstigen IG-Farben-Hauses – heute Frankfurts Campus – erschloss.

Soviel Leben hat das Haus seit dem furiosen Beginn unter Heinrich Klotz nicht mehr gesehen. Mit ihm debattierte Ingeborg Flagge damals oft und hart. Sie tat es als Chefredakteurin des „Architekten“, der Zeitschrift des Bundes Deutscher Architekten, die mit ihr nicht Standesorgan, sondern ein gewichtiger Kommentator aktuellen Bauens war. Dieselbe Konsequenz, die sie Heinrich Klotz die effekthascherischen Züge der von ihm propagandierten Postmoderne vorwerfen ließ, führten 1998 zu ihrem Rücktritt als Chefredakteurin. Die „überwältigend mediokre, von Rentabilitätszwängen geprägte“ Architektur, so erklärte sie, mache es ihr unmöglich, den Qualitätsanspruch des Blattes aufrechtzuerhalten.

Rentabilitätszwängen besonderer Art sah sie sich gegenüber, als sie nach einer Leipziger Professur in Architekturgeschichte - von Hause aus ist die 1942 in Oelde Geborene Archäologin -  ihr Frankfurter Amt antrat: Sämtliche Ausstellungen mussten über Sponsorengelder finanziert werden. Ingeborg Flagge bewältigte diesen Ritt über den Bodensee - anregende, auch aufregende Präsentationen ließen einige an Werbeaktionen der Geldgeber grenzende Veranstaltungen hinnehmen.
752.000 erwirtschaftete Euro im Jahre 2002, 2003 ein Besucherrekord mit der Oscar Niemeyer Ausstellung, den die momentane Schau zu Stanley Kubrick noch übertreffen wird, sind nur zwei Glanzlichter ihrer Zeit.

Den größten Erfolg feiert Ingeborg Flagge jetzt: Unlängst kündigte sie an, sie werde ihren 2006 auslaufenden Vertrag nur dann verlängern, „wenn die Stadt ein anständiges finanzielles Angebot für das Museum unterbreitet“. Das ist nun unter Dach und Fach. Bis zu 350.000 Euro sind jährlich zugesagt, dazu zwei zusätzliche Kuratoren. Jetzt bleibt die Direktorin bis 2007. Das ehrt sie und die Stadt, die endlich einmal über ihren sparwütigen Schatten gesprungen ist. Mit einem anderen Schatten wird Ingeborg Flagge leben müssen. Die tatsächliche Höhe der städtischen Unterstützung berechnet sich nach dem Geld, das von Sponsoren eingeworben werden kann. Und da hängt derzeit einiges am Hoffen auf Partnerschaftsgelder von zwei großen Gönnern.

Dieter Bartetzko FAZ 22. April 2004