Späte Manifestation

Eine Hauptkirche der russischen Streitkräfte

Politische Architektur gibt es häufig, als Parlamentsbauten, als Ministerien und Parteizentralen. Solche Bauten manifestieren in ihrer Gestaltung politische und ideologische Überzeugungen sowie eine entsprechende Umsetzung. Eine Kirche in dieser Tradition und als Zeichen eines Sieges in einem Krieg ist mir nicht bekannt.

In Russland dagegen haben sog. Militärkirchen eine grosse Tradition. Und nachdem seit einiger Zeit Religion in Russland von Politikern wieder entdeckt wurde und inzwischen eine grosse Rolle spielt, erklärt sich wohl auch der Bau dieser Kirche Von Gotteshaus allerdings kann man nicht sprechen.

Die Hauptkirche der russischen Streitkräfte feiert mit 75 Jahren Verspätung den Sieg der Russen im 2. Weltkrieg über Nazideutschland. In ihrer Gestaltung „werden zaristische, sowjetische und moderne Militärabzeichen und Architekturansätze eklektisch zusammengeführt“, wie es in einem ausführlichen Artikel in Wikipedia heißt. Ein Leserbrief bezeichnet den Bau als „peinlichste Kirche der Welt“. Doch solange ich sie nicht gesehen habe und dieses Urteil nicht bestätigen kann, möchte ich mich dieser harschen Verurteilung nicht anschliessen.

In einer Kirche wird Gott verehrt, auch wenn sie einem oder einer  Heiligen geweiht ist. Im Raum einer Kirche trifft man sich zu einer Messe oder einem Gebet, oder man sucht in der Stille die Zwiesprache mit dem Jenseitigen. Die Hauptkirche der russischen Streitkräfte, der viertgrößten orthodoxen Kirche Russlands, ist dagegen der Vernichtung eines Feindes gewidmet. Was ist Sinn und Zweck eines Besuches dort? Der immerwährende Dank für den Sieg russischer Soldaten 1945?
Die Trauer über die Millionen im Kampf gefallener russischer Soldaten? Aber die Zahl der toten Soldaten – ca.10 Mio. – wird nirgendwo erwähnt. Als spielten sie keine Rolle bzw. nur die Tatsache, daß sie diesen Krieg gewonnen haben.

Der Bau der Kirche, deren Fassaden in grünen Tarnfarben gestrichen sind, wurde 2018 begonnen und soll die Idee eines russischen Verteidigungsministers sein. In der Rekordzeit von zwei Jahren wurde sie errichtet, wegen Corona aber nicht  am 9.Mai 20, dem 75.Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges, eingeweiht. Stattdessen eröffnete Patriarch Kyrill den Bau am 22.Juni, dem „Tag der Erinnerung“.

An mir ist jede Information über den Bau dieser Kirche vorbei gegangen. Ich wage zu schreiben, daß hierzulande – aus welchem Grund auch immer – alles, was diese Kirche angeht, nicht wahrgenommen wurde.
Sie steht in einem militärischen Themenpark, dem sog. Park Patriots, in der russischen Stadt Kubinka 60 Kilometer von Moskau entfernt und wurde weitgehend aus Spenden und staatlichen Zuschüssen gebaut.
Ich kenne kein anderes kirchliches oder profanes Gebäude, das derart vordergründig geschichtliche Daten den Abmessungen des Baus zugrunde legt und sie so zum Symbol werden lässt.

Das Ensemble, das in der äusseren Gestalt traditioneller orthodoxer Kirchenarchitektur daher kommt, entspringt einem Denken, das unter allen Umständen und geradezu zwanghaft etwas Aussergewöhnliches darstellen soll, indem es die Daten des 2.Weltkrieges in gebaute Form umsetzt.

Der 2.Weltkrieg wird in Russland der grosse Vaterländische Krieg genannt. Die Daten dieses Krieges bestimmen den Bau der Kirche.
Diese ist ein riesiger Raum von einer Gesamtfläche von 10.950 m2, die 6000 Besuchern Platz bietet. „Sie besteht aus einem Hauptbau und  einem daran anschließende Glockenturm mit einer Höhe von 75 Metern in Anlehnung an den 75.Jahrestag des Kriegsendes. Sechs zwiebelförmige Kuppeln krönen den Bau. Eine befindet sich auf dem Glockenturm, die übrigen auf dem Hauptbau. Die Hauptkuppel im Zentrum des Bauwerkes erreicht eine Höhe von 95 Metern… Sie hat einen Durchmesser von 19.45 Metern angelehnt an das Jahr des Kriegsendes und eine Höhe von 22.43 Metern, was der Urzeit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulationen der Wehrmacht entspricht… Die vier kleineren Kuppeln auf dem Hauptbau haben jeweils eine Höhe von 14,18 Metern in Anlehnung an den 1.418 Tage andauernden Deutsch-Sowjetischen Krieg.“

Wer über die Stufen durch das zweiflügelige Siegestor in die Kirche eintritt, läuft über eingeschmolzene deutsche Waffen, die er buchstäblich mit Füssen tritt, als seien die erbeuteten Waffen die besiegten Opfer.
Wie am Eingang so ist auch der gesamte Metallfußboden der Kirche aus einem Waffenarsenal hergestellt, das die Rote Armee von der Wehrmacht erbeutete.

Das südliche Siegestor selbst zeigt in seinem Zentrum ein Schwert, das den deutschen Reichsadler durchbohrt. Das Innere der Kirche ist von prunkvoller Ausstattung, überladen mit einer Vielzahl von Ikonen, Altären, Schreinen, Edelsteinen und Mosaiken. Zwei Wandmosaiken, die Stalin und Putin darstellten, wurden wegen wachsender öffentlicher Kritik wieder entfernt. In den öffentlichen Medien gab es zunehmend Kritik an der Kirche, die wechselweise mit „einem Raketenwerfer oder einer Luftverteidigungsbatterie“ verglichen wurde. Von weiterer Kritik ist nichts zu lesen.

Noch überladener mit Orden, Reliquien, Abbildungen des Krieges kann Architektur nicht sein. Was soll man davon halten, dass im Museumskomplex rund um die Kirche eine Schirmmütze Adolf Hitlers aufbewahrt und zu einer Reliquie erklärt wurde. Anders als obskur lässt sich das ganze Konzept dieser Kirche und ihre gebaute Gestalt nicht bezeichnen.

Das größte Rätsel in meinen Augen ist der Zeitpunkt ihrer Fertigstellung. 75 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges errichtet Russland eine Kirche des Sieges über Deutschland. Es gibt zahlreiche andere Denkmäler, die an dieses Ereignis erinnern, nicht zuletzt Jahrestage mit monströsen Waffenparaden. Während Europa in 77 Jahren gelernt hat, eine Lehre aus dem 2.Weltkrieg zu ziehen und „nie wieder Waffen, Vernichtung und Kriegsverbrechen an die Stelle von Verhandlungen, Ausgleich und Recht“(GA 18,7,22) treten zu lassen. Sieht Russland eine Notwendigkeit für diese bizarre Kirche, und steht der Krieg mit der Ukraine am Anfang einer neuen Weltpolitik?

Alle Zitate aus dem Wikipedia- Artikel unter „Hauptkirche der Streitkräfte Russlands“ Es ist ein langer, sehr detaillierter Artikel. Ich empfehle die Lektüre, weil Details erwähnt werden, auf die ich nicht eingehen kann. Ich habe die Kirche nicht gesehen.

Der Hinweis auf diesen Bau kam von einem Freund, der immer wieder über Skurriles im Netz stolpert.