Götter und Helden auf dem Sprung

Bonns unbekannteste Sammlung

Götter und Helden ziehen um, so berichtete der Bonner Generalanzeiger am 10. Juli. Bonns unbekannteste Sammlung von 2800 Abgüssen griechischer und römischer Werke verlässt ihren derzeitigen Aufenthaltsort, das zur Universität gehörende Akademiemuseum. Mit unbekanntem Ziel, denn es gibt keine Entscheidung darüber, wohin mit dieser riesigen Masse an Statuen zur Lagerung. Immerhin soll die Renovierung des Schinkel zugeschriebenen klassizistischen Baus drei bis fünf Jahre dauern, was in Bonn auch oft länger sein kann. Ideal wäre das erste Obergeschoß im Karstadt Kaufhaus, das in wenigen Wochen geschlossen werden soll und dessen neue Nutzung noch in den Sternen steht.

Der Karstadt-Bau liegt mitten in der Fußgängerzone, hat einen freien Grundriss ohne Zwischenwände im 1.Geschoß; zwei Rolltreppen würden die Besucher mitten in die Sammlung entführen. Endlich könnten sie entdecken, was für einen Schatz die Universität bzw. die Stadt seit Jahrzehnten sträflich unter Verschluss gehalten hat.

Das Akademiemuseum war 1825 als ,Teatrum Anatomicum’ gebaut worden, bevor es 1872 zu klein wurde und eine neue Anatomie in Poppelsdorf entstand. Schinkel wurde gern als Architekt genannt, aber er überwachte als Mitglied der preussischen Oberbaudeputation nur das Entstehen durch den Bonner Architekten Waesemann. Der Archäologe Kékulé machte für den leestehenden Bau dann den Vorschlag zu einem Museum, zwei Erweiterungsbauten folgten 1884 und 1908.

Kopien von Originalen griechischer Statuen haben eine lange Geschichte. Die Römer, verrückt nach griechischer Kunst, fertigten sie in Marmor oder Bronze. Während viele der Originale verloren gingen,  halfen uns diese Kopien, die Eigenheiten und die Entwicklung der griechischen Kunst zu verstehen. In der italienischen Renaissance war die Antikenkopie ein zentrales Thema. Der Fund der originalen hellenistischen Laokoon-Gruppe löste unter den Künstlern der Zeit geradezu einen Hype aus. Michelangelos Stauen spiegeln die antiken Vorbilder wieder. Im 19. Jahrhundert kommt die Kopie in Gips heraus, Gips ist auch das Material der meisten Bonner Kopien.

In Zeiten, in denen es weder Fotografien noch Computer gab, war die Kopie für den kunsthistorischen Unterricht oder für Museen eine Notwendigkeit. 1865 gab es an der Bonner Universität schon 800 Kopien, die den Grundstock des Antikenmuseums bildeten.
Heute ist die Bonner Kollektion neben der Ny Carlsberg Glyptothek in Kopenhagen eine der weltweit größten Sammlungen.

Die Herstellung einer Kopie in Gips, heute auch in Silikon oder einem mit Glasfaser verstärktem Kunstharz ist kein einfacher Prozess. Das Original wird in Einzelteile zerlegt, davon werden Formgüsse erstellt, die dann zusammengesetzt werden. Die feinen Linien, die dies auf der so montierten Figur hinterlässt, werden unter Farbe verdeckt.

Viele der Güsse lassen sich auf Grund ihres Alters kaum noch säubern oder renovieren. Sie sind durch Schmutz verstaubt und locker, ihr ursprünglich hartes Weiß ist fleckig geworden. Abgüsse sind zwar in allen Details dem Original ähnlich, aber sie wecken im Betrachter keine Gefühle, ihre Ästhetik ist nicht ansteckend. Sie wirken glatt, künstlich und ein wenig eintönig, um nicht zu sagen langweilig. Das Original dagegen zeigt eine belebte Oberfläche, Schattierungen wie eine echte atmende Haut. Wer eine Statue aus pentelischem Marmor einmal angefasst hat, begreift, dass Marmor warm ist und lebt. Der Ausspruch des Betrachters  einer beschädigten Statue im 19.Jahrhundert macht dies deutlich: “And once I met a broken girl, I knew that marble bleeds.“ (Als ich einmal die defekte Statue eines Mädchens sah, begriff ich, dass Marmor blutet.)

Die Bonner Sammlung umfasst alle bekannten Beispiele griechischer archaischer, klassischer über hellenistische bis zu römischer Kunst. Der Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst lässt sich hier auf Schritt und Tritt beobachten. Die überlebensgroßen Jünglinge aus dem 7. und 6. Jahrhundert zeigen die Ähnlichkeit mit ägyptischen Vorbildern; im Gegensatz zu den meist nackten Männerfiguren sind die weiblichen Stauen dieser Zeit – die Koren – fast immer bekleidet. Nacktheit bei Männern ist schon früh gesellschaftsfähig, bei Frauen bleibt dies auch in späterer Zeit nur Aphrodite vorbehalten. An den streng-schönen Giebelfiguren des Aphaiatempels auf Aigina lässt sich das archaische Lächeln beobachten. Dieses Lächeln zeigen auch erschlagene Krieger; es entsteht durch leicht nach oben gezogene Mundwinkel.

Am Wagenlenker von Delphi, am Diskuswerfer des Myron und am Omphalos Apollo –  um nur einige der berühmtesten Statuen des 5. Jahrunderts zu nennen – lernt man, wie schnell und vielfältig die geschlossene Form der archaischen Statue in die raffinierteste Bewegtheit des 4.Jahrhunderts hinein sich entwickelt. Man lernt ebenfalls, dass die dynamischen Figuren allein nicht stehen können, sondern sich auf Bäume, Säulen, Mauern und Waffen abstützen müssen, da ihre Bewegtheit sie ansonsten zu Fall bringt.

Wann genau die Sammlung geschlossen wird, ist unklar. Es soll jedoch noch in diesem Jahr sein. Zur Zeit ist das Akademiemuseum nur sonntags noch geöffnet.