Zwischen Paradies und Wildnis

Der Zauber von Lunuganga

Lunuganga klingt geheimnisvoll, aber der Ort selbst ist geradezu magisch. Geoffrey Bawa, der sri-lankische Architekt mit europäischen und asiatischen Wurzeln, erwarb das zehn Hektar grosse Gelände einer aufgelassenen Gummiplantage samt altem Herrenhaus im Jahre 1948. Über 50 Jahre lang formte er den Landsitz zu einem Gesamtkunstwerk, in dem sich Architektur, Gartengestaltung und Kunst zu einer unauflöslichen Einheit verbinden. Der Architekt ließ Hügel anschütten, Terrassen bauen, Aussichtspunkte errichten und  fand zu einer einzigartigen Mischung aus tropischem Renaissancegarten und englischen Landschaftspark. Lunuganga wurde so zu einem der schönsten Gärten Asiens.

Bawa ist vor allem Architekt und Landschaftsplaner. Er ist kein Gärtner.
Mit einem sicheren Gespür für Topographie und Harmonie fügte er einheimische Nadelbäume und Hölzer wie Teak,  Ebenholz, Eisenholz- und Bodhibäume mit seinem Lieblingsbaum, dem Frangipani, zusammen und verband sie mit ausgedehnten Oleander- und Rhododendronbüschen zu stimmigen Ensembles in allen Schattierungen von Grün. Blumenbeete gibt es in Lunuganga nicht. Buntheit ist Bawa eher fremd. Höchstens läßt er den Lotus, die blaue Wasserlilie, Orchideen und Jasmin in ihrer  zurückhaltenden Farbigkeit gelten.
Die Umgebung von Lunuganga ist eine der feucht-heissesten Gegenden der Insel. Alles wächst in unbeschreiblicher Vielfalt und Üppigkeit. Jahreszeiten gibt es nicht, alles blüht und vergeht gleichzeitig.
Diese „zivilisierte Wildnis“ (David Robson) braucht intensive Pflege. Bawa beschäftigte zeitweise 12 Gärtner. Aber der umgebende Dschungel wartet nur darauf, alles wieder zu vereinnahmen.

Geoffrey Bawa kam spät zur Architektur. Er studierte zunächst Jura und Literatur in England, machte nach kurzer Praxis in Sri Lanka erneut eine Reise durch Europa, lernte Le Corbusier kennen und Italien lieben und entwickelte eine Neigung für Parks. Schließlich kaufte er Lunuganga, aber sein neuer Besitz lehrte ihn, daß ihm für den Umbau in eine Art Park alles Wissen fehlte. Also studierte er Architektur in London,  erhielt mit 38 Jahren sein Diplom und schrieb noch in Europa eine Dissertation über den deutschen Barockbaumeister Balthasar Neumann.
Bawa, der 2019 hundert Jahre alt geworden wäre, ist der größte Architekt Sri Lankas und wird in ganz Asien als Guru verehrt. 2004 erhielt er die Aga Khan Auszeichnung für sein Lebenswerk. Er war nie ein Revolutionär, aber keiner hatte zuvor so entworfen und gebaut wie er, weder in Europa noch in Asien. Sein untrüglicher Instinkt für den Geist eines Ortes und seine Sensibilität, diesen zu inszenieren, wird in seiner gesamten Architektur .deutlich. Sein lebenslanges Ziel war es, in Sri Lanka, das durch seine Insellage, sein Klima und seine uralte Kultur den Vorstellungen von einem irdischen Paradies sehr nahe kommt, für sich und seine Freunde Orte zu realisieren, an denen sie in Schönheit und Harmonie leben können.

Lunuganga ist ein Kunstwerk, keine Schöpfung der Natur. Bawa trennte nicht zwischen Architektur und Natur. „Er stellte den Garten in das Zentrum eines Entwurfes und baute das Haus drum herum, nicht umgekehrt“, erinnert sich sein langjähriger Partner Channa Daswatte. Der Garten wirkt natürlich, ist aber das Resultat akribischer Planung und grosser Leidenschaft. In seinen letzten Jahren meinte Bawa: „Über Jahre hat sich der Garten in einen Ort vieler Empfindungen entwickelt, in große Bilder, einige komplex, andere einfach“.

Von der hoch gelegenen Terrasse, auf der Bawas Haus thront, versteht man die gesamte Anlage von Lunuganga. In der Ferne fällt der Blick auf die Stupa des Kalakutiatempels, ein Ausblick, der ständig zuzuwachsen droht, aber in Bawas Auftrag freigehalten wird. Wer sich von der Terrasse auf einen Rundweg durch den Park macht, erlebt lange Achsen, plötzliche Aus- und Durchblicke, den Wechsel von dunklen Hainen und hellen Lichtungen, und immer wieder das magische Spiel von Licht, Schatten und Spiegelungen im Wasser. Der Spaziergang zum Ufer der Lagune führt zunächst abwärts über bemooste Treppen. Die Nutzgärten und Reisfelder, die man dann erreicht, folgen einer geometrischen Gestaltung im Vergleich zur üppigen Fülle der sonstigen Natur. Weiter führt der Weg vorbei an Quellen und Teichen zum Tal der Vasen, wo im hohen Gras ursprünglich zahlreiche meterhohe grünglasierte chinesische Vasen aus dem 16.Jahrhundert lagen. Die meisten hat Bawa  an seine Freunde verschenkt, nur wenige noch sind übrig. Dann steht man auf Cinamon Hill, dem höchsten Punkt Lunugangas und fühlt sich wie in einem englischen Landschaftspark. Auf der grossen Rasenfläche, die zum Haus zurückführt wurde Bawa nach seinem Tod am 27. Mai 2003 bestattet.

Er gilt als wichtigster Vertreter der sogenannten Tropischen Moderne.
Dieser Stil ist nicht exakt definiert, meint aber ein Bauen, das europäische Moderne mit alten lokalen Bautraditionen und -materialien verbindet. Im Englischen heißt diese Richtung „vernacular architecture“.
Sie wird häufig von Baumeistern praktiziert, die keine Architekten sind. Die Tropische Moderne betrachtet das Dach eines Hauses als eine Art Schirm und Schutz gegen Sonne und Regen. Übergänge zwischen Innen und Außen sind fließend, das Haus ist nach fast allen Seiten offen   Charakteristisch sind auch Innenhöfe, große Öffnungen im Baukörper, riesige Veranden.

Bawa wird nicht selten mit dem Mexikaner Luis Barragan und dem Inder Charles Correa verglichen. Mit Barragen verbindet ihn die Fähigkeit zu dramatischen Raumkompositionen, mit Charles Correa die Gabe, mit einfachen baulichen Mitteln ein gutes Klima zu erzeugen. Aber diese Architekten waren Einzeltäter, die keiner allgemeinen Doktrin  anhingen und folgten. Bawas Bauten antworten auf den jeweiligen Ort, aber sie entwickeln ihn auch weiter. Sicher ist er ein enthusiastischer Regionalist, aber gleichzeitig ein radikaler Moderner. „Regionalismus ist das, was sich von allein ergibt,“ sagte er 1990, „aber ich betrachte Regionalismus nicht als Glaubensbekenntnis.“

Bawa hat ein grosses Oeuvre hinterlassen, 50 Privathäuser, 35 Hotels, das sri-lankische Parlament, eine Universität, Schulen und Industriebauten, alle in Sri Lanka. Eines der aufregendsten Gebäude ist das zwischen 1991 und 1994 entstandene Kandalamahotel sowohl wegen seiner atemberaubenden Lage und dramatischen Bauweise. Es gleicht einer Art von Dschungelschloß.

Das weitläufige 3-5 geschossige Hotel mäandriert in einer vielfach gebrochenen Halbkreisform um die tief ins Land greifende Bucht des Sigiryaflusses. Gegenüber liegt Sigirya, eines der bedeutensten Denkmäler Sri Lankas, wo im 5.Jahrhundert auf einem schwer zugänglichen Felsen König Kasyapa eine Burg baute, die heute vor allem wegen der Malereien der sogenannten Bikinimädchen bekannt ist.
Das hügelige Gelände um das Hotel ist voller Felsbrocken, in und um die sich der Bau schmiegt, so daß er bei der Anfahrt kaum sichtbar ist. Vor allem aber läßt das grüne Kleid aus Pflanzen, die die Vorderseite  vom Boden bis zum Dach überwuchern, die gebaute Struktur fast verschwinden. Diese Betonstruktur ist minimalistisch, gewinnt aber Fülle durch den dichten vegetativen Bewuchs. Aus erdgefüllten Vorbauten wuchert dichtes Rankenwerk, das sich an einem einfachen, leicht zu reparierenden Holzgerüst bis zum Dach ausbreitet. In diesem Fassadengrün leben  Affen, Vögel und Schlangen. Wer als neugieriger Besucher in diesem Fassadendschungel auf seinem Balkon sitzt, muß auf ein Zusammentreffen mit diesen Bewohnern gefaßt sein. Da alle Zimmer hohe Glaswände ins Grün haben, kann es passieren,
daß einem ein grosser Affe beim Duschen zusieht.

Kandalama ist kein Haus zum Anschauen von aussen, sondern zum Rausschauen und entstand zu einem Zeitpunkt, als grüne Architektur in Europa noch ein blosses Schlagwort war. Ein Blick nach Sri Lanka auf das Oeuvre Bawas hätte Architekten aufklären können, aber Geoffrey Bawa ist in Europa immer noch weitgehend unbekannt.