Weniger ist mehr

Haus Esters und Haus Lange in Krefeld

Nein, es ist durchaus nicht einfach, meinen Zuhörern bei dieser Exkursion die Schönheit der beiden Häuser in Krefeld, die Mies van der Rohe zwischen 1928 und 1930 entwarf und baute, nahezubringen.
Die meisten Mitglieder der Gruppe laufen mit mir seit ungefähr sechs Jahren durch Deutschland, um alte und neue Architektur anzuschauen. Sie haben in dieser Zeit „sehen“ gelernt und können in anschließenden Diskussionen ihre Eindrücke und Beurteilungen gut formulieren.
Diesmal allerdings schauen die meisten der ca. 20 Menschen, die wie die Öffentlichkeit in den letzten Wochen und Monaten mit Informationen, Büchern, Vorträgen und Filmen über das „Bauhaus“ regelrecht überschwemmt wurden, ziemlich ratlos drein. Diese beiden langweiligen Häuser aus Backstein sollen „Bauhaus“ sein? Sie sind doch gar nicht weiß.

Ich beginne also zunächst mit einer einfachen Beschreibung der beiden Bauten, die Mies für die befreundeten Seidenfabrikanten und Kunstsammler Hermann Lange (1874-1942) und Josef Esters (1884-1966) gebaut hat. Die Grundstücke an der Wilhelmshofallee 91-97 lagen unmittelbar nebeneinander, so dass sich sowohl die Baukörper als auch die umgebenden Gartenflächen funktional und gestalterisch nicht wie Zwillinge, sondern wie Geschwister entwickeln ließen. Denn bei aller Ähnlichkeit sind die Häuser doch ziemlich verschieden.'
Aufmerksame Blicke folgen meinen Worten, vertiefen sich in die Struktur der Gestaltung des Ensembles. Dennoch, warum sind die Häuser aus Backstein? Und demzufolge rot und nicht weiß. Das ist doch nicht typisch für das Bauhaus.

Mies van der Rohe, der aus Aachen stammte und als einer der besten Architekten des 20. Jahrhunderts gilt, hat durchaus einige Häuser in Backstein gebaut. Vor allem 1926 sein Revolutionsdenkmal für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin. Es wurde 1935 von den Nazis abgetragen, existiert also nur noch in Fotos und Zeichnungen und hatte   einen großen künstlerischen Wert. Mies war kein politischer Architekt, wollte diesen Auftrag aber unter allen Umständen ausführen. Er schätzte das klassische Baumaterial, „das brauchbare Format“ des Backsteins und er liebte die „Logik seines Verbandsgefüges“, auch wenn dieses Material in seinem Werk später keine größere Rolle mehr spielte.
Die Skepsis auf den Gesichtern meiner Zuhörer will nicht weichen. „Die Logik seines Verbandsgefüges“? Logisch vielleicht, ordentlich auch, aber schön?

Ich versuche einen Vergleich der beiden Miesbauten mit einem Baukomplex vermutlich aus den 80igern auf der anderen Straßenseite. Hier gibt es keine bauliche Ordnung, keine Logik der Gestaltung, vielmehr ein Durcheinander an Fensterformaten und Dächern, die wie Wasserfälle von oben nach unten zu fließen scheinen. Ich verweise dagegen auf das rhythmisch gegliederte, stark horizontal ausgerichtete ,kubisch-skulpturale Ensemble der flach gedeckten Häuser Esters und Lange und das feine Geflecht von klaren Linien,  das die Häuser kennzeichnet und zusammenfasst. In den aus Ziegelmauerwerk mit verborgenen Stahlstützen ausgerichteten Außenwänden  öffnen sich breit lagernde, vertikal versprosste Fenster, die entweder als Solitäre oder als Teil einer seriellen Reihung in die Backsteinflächen einschneiden. Ausladende Vordächer überspannen den Eingangsbereich und Teile der Terrassen in Richtung der Gärten.
Ich erkläre anhand der Häuser Esters und Lange den Wahlspruch von Mies van der Rohe „Weniger ist mehr“. Durch immer weitere Reduktion'
und Sparsamkeit entsteht in seiner Architektur Spannung und Schönheit.
Je mehr ich rede, umso gelangweilter schauen etliche drein. „Diese Häuser sind nüchtern, aber nicht schön“. Doch die von Mies persönlich entworfenen Gärten der beiden Häuser werden gelobt. Die geometrischen Formen passen gut zu den Häusern und bilden mit ihnen ein Gesamtkunstwerk.

Was gar nicht gut ankommt, sind die Türen, die ins Haus führen, sowohl in den Wirtschafts- als auch in den Wohntrakt. Sie sind nicht repräsentativ, eher klein und schmal und erschließen die Häuser nicht in der Mitte der Fassade. Sie gleichen Türen in heutigen Einfamilienhäusern, die schiere Grüße von Haus Esters und Langer hätte aber sicher eine aufwändigere Eingangssituation gerechtfertigt.

Auch in den Innenräumen bin ich nicht sehr erfolgreich, das Maß, die Ordnung und die Freiheit der Räume, die Orte aus eigener Kraft sind und keineswegs neutral wirken, zu erklären. Es braucht sicher eine Menge Phantasie, sich die Leere möbliert vorzustellen. Mies hatte versucht, die Bauherren zu einem offenen Grundriss zu überreden, wie er ihn 1930 beim Barcelona Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona realisiert hatte. Die Bauherren lehnten dies ab, weil sie für ihre Häuser eine Wohnatmosphäre mit Wänden und normalen Türöffnungen darin bevorzugten.

Die Luxusmateralien wie Marmor, Onyx und Edelhölzer, die Mies kurz nach dem Weltwirtschaftscrash 1929 für den Pavillon im Auftrag des Deutschen Reiches verwendete, machten ihn zum teuersten Architekten Deutschlands, eigentlich keine gute Voraussetzung als 3. Direktor des notorisch unter Geldnot leidenden Bauhauses. Auch die Seidenfabrikanten Esters und Lange waren nicht beeindruckt, doch der Pavillon machte ihn weltberühmt.
Von der ursprünglichen Möblierung der Häuser Esters und Lange ist nichts übrig geblieben, aber Lilly Reichs Raumgestaltung - sie war die Partnerin von Mies -ist noch heute in etlichen Bespielen zu bewundern: die Böden aus Nussbaum oder Eichenparkett, die ebenfalls eichenen Fensterlaibungen oder die Heizkörperverkleidungen, Türgriffe, Beleuchtungskörper kamen hinzu. Eindrucksvoll auch die umlaufenden Bilderleistungen für die Gemäldesammlungen der beiden Eigentümer. Auf alten Bildern erkennt man zahlreiche Kunstwerke von Lehmbruck.