Zwischen Trauer und Triumph

Das Ende des Bonner Beethovenfestspielhauses

Es gibt Artikel, die möchte man nicht schreiben. Dieser gehört dazu. Es gibt Entwicklungen, an die man nicht glaubt und die sich so bewahrheiten, wie man sie voraus gesagt hat. Und dennoch hätte man vieles dafür gegeben, nicht Recht zu behalten. Im Falle des Beethovenfestspielhauses in Bonn ist das so.

Am Dienstag, den 16.Juni, verkündete Frank Appel, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post DHL Group, am frühen Vormittag, „ der notwendige Schulterschluss“ mit der Stadt Bonn sei ausgeblieben und damit die Errichtung des Beethovenfestivalhauses  endgültig gescheitert. Die Post sehe keine „realistische Chance mehr, das Festspielhaus zu realisieren“.

Damit endet ein fast zehnjähriges Engagement der Post für ein neues Bonner Haus für Beethoven. Damit stirbt eine schon 2oo1 vom Bonner Kulturrat geborene Idee, nämlich der Welt zum 25o.Geburtstag Beethovens im Jahre 2020, dem größten Sohn der Stadt, eine neue, adäquate Spielstätte anstelle der sanierungsträchtigen  Bonner Beethovenhalle im gestalterischen Gewand der 5oiger Jahre zu präsentieren.

Karin Hempel-Soos, Schriftstellerin, Dichterin, Journalistin, Kabarettistin, SPD Mitglied, Gewerkschaftlerin und Feministin, bekannt als nimmermüde „Nervensäge“( Steinbrück) auch in Sachen Festspielhaus, hätte- wenn überhaupt - auf Grund ihrer charismatischen Persönlichkeit wohl als einzige ein Aufgeben dieser Idee verhindern können. Aber sie starb schon 2oo9.

Die Post kann man auf Grund ihres langjährigen Engagements für die „Strahlkraft der Marke Beethoven“ nur loben. Sie hat Millionen in das Projekt Festspielhaus hinein gesteckt und mit Geduld, Akribie und Sachverstand zwei Wettbewerbe organisiert, die Gewinner-Entwürfe überarbeiten und durchrechnen lassen, um im Falle einer Realisierung nicht von unvorhergesehenen und bei Architekten ja leider üblichen Preissteigerungen überrascht zu werden. Sie hat für ihr vorbildliches Handeln meist nur wenig Lob erhalten, sondern eher Misstrauen geerntet, und Vorwürfe, daß sie ein privatwirtschaftliches Festspielhaus realisieren wollte und ihre Millionen nicht der Stadt Bonn für öffentliche Aufgaben schenken wollte.

Die Stadt wiederum reagierte von Anfang an lust- und phantasielos. Sie sah augenscheinlich die Chance des Festspielhausesl nie wirklich. Die Stadt war und ist ein kleinkarierter Bedenkenträger, Führungskraft, Phantasie und Mut fehlen im Rathaus und in der Verwaltung auf allen Ebenen. Stümperhaftes Durchwursteln und ein Aufschieben von klaren Entscheidungen war und ist für Bonn typisch - lange bevor die Stadt sich hoch verschuldete und durch das WCCB (World Congress Center Bonn) traumatisiert wurde. Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimpsch bestreitet selbst jetzt noch, daß das Ausscheiden der Post aus dem Leuchtturm-Projekt  Beethoven „ein Imageverlust“ für die Stadt sei. Wie schrieb doch vor wenigen Tagen ein Leser des Generalanzeigers online angesichts solcher Mischung aus Überheblichkeit und Naivität : „Selbst wenn das Grab von Jesus in Bonn wäre, würde die Stadt keinen Profit daraus schlagen“.

Es war eben dieser Bürgermeister, der am 21.April 2o1o in einem Alleingang feststellte, daß das Projekt einer Festspielhalle „vorerst nicht weiterverfolgt“ werde. Vorausgegangen waren Jahre sorgfältiger  Planung auf Seiten der Post und der Durchführung eines ersten Architektenwettbewerbes. Nachdem am 13.Juni 2007 der erste Ratsbeschluß  pro Festspielhaus gefallen war, nachdem die Deutsche Post, Telekom und Postbank sich bereit erklärt hatten, die gesamten Baukosten des Projektes zu übernehmen und vom Bund, der Sparkasse und dem Rhein-Sieg-Kreis weitere 47 Millionen für eine Betreiberstiftung aufgebracht worden waren, schienen eigentlich alle  Bedingungen für eine erfolgreiche Realisierung gegeben.

Der erste Architektenwettbewerb unter zehn international renommierten Architektenbüros wurde im Sommer 2oo9  entschieden. Bei dieser Auslobung aber wurde der vielleicht entscheidendste Fehler des gesamten Verfahrens gemacht - eine Tatsache, die in der gesamten öffentlichen Berichterstattung später mehr oder minder unterschlagen wurde. Die neue Festivalhalle sollte auf dem Grundstück der alten Beethovenhalle entstehen. Dafür war den Wettbewerbsteilnehmern deren Abriss bzw. ihr Umbau freigestellt worden.

Die Beethovenhalle stand jedoch bereits seit 199o unter Denkmalschutz - eine Todsünde von Seiten des Auslobers Post und der Stadt Bonn, so zu tun, als könne man den Denkmalschutz nach der Kürung der strahlenden neuen Entwürfe einfach wegschieben oder vergessen.

Dieser Teil der Ausschreibung war schlicht eine Täuschung der Wettbewerbsteilnehmer: die Post war zu keinem Zeitpunkt ihres Engagements an einem Umbau der Beethovenhalle interessiert. Sie wollte der Sponsor eines internationales Aufsehen erregenden Neubaus werden, sagte dies aber in der Öffentlichkeit nicht mit aller Deutlichkeit.
Die Stadt Bonn wiederum scheute eine entsprechende Auseinandersetzung mit der Post, ließ deshalb alles laufen und war zu feige, von Anfang an und in aller Klarheit auf dem Einhalten des Denkmalschutzes zu bestehen. Ein Wunder, daß keiner der Wettbewerbsteilnehmer in der Folge eine Klage gegen die Auslobung angestrengt hat.

Alle vier im ersten Wettbewerb von der Jury ausgewählten Siegerentwürfe sahen  den Abriß der alten Beethovenhalle vor: der Japaner Arara Isozaki legte den vielleicht dramatischsten der vier Entwürfe vor. Grosse kristalline Formen des „Rheinkristall“ genannten Entwurfes bildeten aus fünf ineinander verschränkten Dodekaedern ein Gebirge unterschiedlicher Häuser, das signifikant und aussergewöhnlich wirkte. Der Entwurf des Luxemburgers Francois Valentiny, „Welle“ genannt, war eine organische Form von skulpturaler Qualität. Der markante Baukörper wurde durch die fliessende Kontur des aufwendigen und ausdrucksstarken Daches geprägt, das sich seitlich bis auf die Geländeoberfläche herab zog. Richard Meiers Entwurf war ein gelassener, selbstverständlich wirkender Klassiker. Sein strahlendes weisses Ensemble aus unterschiedlich hohen und grossen Kuben  bestach durch Eleganz und lebendige Vielfalt. Der Liebling der Post aber war der Entwurf von Zaha Hadid, ein kompakter Solitär, dessen ausdrucksstarke organische Formensprache ungemein einprägsam war. Der „Diamant“ faszinierte durch die vielfältigen Facetten seiner Fassade aus teilweise gerundeten und gekanteten Elementen, die je nach der Wahl des Materiales draussen und drinnen faszinierende Schattenspiele erwarten liessen.

Als Ausloberin votierte die Post dann dafür, lediglich die Arbeiten von Zaha Hadid und von Francois Valentiny weiter zu verfolgen, zwei echten  Alternativen, die in gründlicher Überarbeitung vor allem im Innenausbau und unter akustischen und lichttechnisch- atmosphärischen Gesichtspunkten verbessert wurden.

Alles schien auf dem rechten Weg, aber Bonns damals neuer Oberbürgermeister Nimpsch und seine zögerliche Haltung zu Beginn seiner Amtszeit schienen das Ende des Projektes zu bedeuten.
Als schließlich im Herbst  2o10 die Telekom und wenig später die Postbank ihren Ausstieg aus dem Projekt Beethoven verkündeten, schien das Scheitern endgültig. Doch die Post zeigte sich bereit, weiter mit 3o Millionen bei der Stange zu bleiben, wenn andere Sponsoren für den Rest der Baukosten gefunden werden würden. Wolfgang Grießl. der Präsident der Industrie- und Handelskammer, begann mit anderen Initiativen, hierfür Geld unter den Bürgern zu sammeln.

Inzwischen war die Diskussion nicht nur über den Denkmalschutz für die alte Beethovenhalle in vollem Gange, was den Bau eines neuen Festspielhauses in weite Ferne rückte, sondern auch die Erhaltung des  gesamten maroden Aussengeländes der Beethovenhalle auf den Tisch gekommen. Der Denkmalschutz hätte dieses  am liebsten in die Denkmalliste aufgenommen, aber: „Wir sind keine Verhinderer, wir begleiten Veränderung“, meinte dazu Franz- Josef Talbot, der Leiter der städtischen Denkmalbehörde. Dennoch wurde es 2o14 unter Schutz gestellt und in die Denkmalliste eingetragen.

Kein Geld und kein Grund und Boden, um ein neues Festspielhaus zu bauen. Eine Zwischenlösung war das Verschieben von „Welle“ und „Diamant“ drei Kilometer flussaufwärts in die Rheinaue, was die Post jedoch aus wirtschaftlichen Gründen ablehnte. Damit entfiel auch diese Variante. Aber ein Vorschlag der Denkmalpflege, zwar nicht mehr auf dem Gelände der Beethovenhalle, sondern auf einem Grundstück daneben eine Art Musikcampus zu schaffen, wurde nun von der Stadt Bonn favorisiert. Allerdings wäre auf diesem Grundstück keiner der beiden zur Diskussion stehenden Entwürfe zu realisieren gewesen.

Man schrieb das Jahr 2o14, sechs Jahre noch bis zum Geburtstag des grossen Sohnes im Jahre 2o2o. Die Zeit drängte. Die Post erklärte sich erneut bereit, ein neues Architektenauswahlverfahren unter ungefähr zehn Büros zu starten, die bereits beim ersten Wettbewerb mitgemacht hatten. Sie verpflichtete die Stadt, bis Ende Mai 2015 nun aber ihrerseits ein baureifes Grundstück zur Verfügung zu stellen,  um danach den Bauantrag zur rechtzeitigen Fertigstellung der Festspielhalle stellen zu können. Für die Stadt hieß das den Abriß eines heruntergekommenen Studentenhauses auf dem vorgesehenen Grundstück und - sehr viel schwieriger und kostspieliger - den Abriß eines Bunkers auf demselben Gelände. Die Kosten hierfür von ca. 4,5 Millionen wären von der Stadt Bonn zu zahlen gewesen.

„Beethovens Zweite“ also. Der neue Saal sollte bis 14oo  Zuhörer umfassen, die Gesamthöhe 2o Meter nicht übersteigen, um unter der Höhe der Beethovenhalle zu bleiben, deren Kuppel bei 23 Meter liegt.

Eine neue Jury wählte Ende 2014 im zweiten Wettbewerb drei Entwürfe aus: der von Francois Valentiny war eine überarbeitete „Welle“, die dem extrem schmalen Grundstück angepasst war. David Chipperfield entwarf vier unterschiedlich grosse, versetzt gestapelte Quader und eine insgesamt schlichte Kubatur von einer „gewissen Virtuosität“. Kadawittfeld  präsentierte einen muschelförmigen Baukörper, der mit der alten Beethovenhalle einen organischen Schulterschluss einging. Zaha Hadid scheiterte mit einer amorphen Version ihres ersten „Diamanten“- Entwurfes.

Zu diesem Zeitpunkt wurden die Baukosten des neuen Saales von der Post mit 7o Millionen angegeben, eine Summe, die alle eifrigen Geldeinsammler aber bei weitem noch nicht beisammen hatten. Die „Bauwelt“ fasste die Bonner Situation Ende 2014 zutreffend so zusammen: „Sollte dies (das Einsammeln der 70 Millionen) gelingen, steht eine weitere Frage im Raum. Bonn hat 1,6 Mrd.Euro Schulden. Verzweifelt kürzt die Stadt ihre Ausgaben, schließt Schwimmbäder, Trauerhallen und Stadteilbibliotheken, verkleinert das Orchester, streicht die Zuschüsse für Museen und Theater. Dass hier nach der baureifen Übergabe des Grundstücks jährlich noch 500.000 Euro für den städtischen Anteil am Betrieb des Festspielhauses zu finden sind, erscheint ebenso unmöglich wie unangemessen. Doch die Befürworter des Projektes halten hartnäckig daran fest, daß „Beethoven jeden Euro zurückzahlen wird.“

Während die  drei Wettbewerbssieger einmal mehr ihre Entwürfe überarbeiteten, damit die Post bis Ende Mai 2015 einen endgültigen Gewinner küren konnte, der dann mit dem Bau beauftragt werden würde - der imaginäre Sieger wird auf immer ein Geheimnis bleiben - tobte in der Öffentlichkeit  ein Kampf um Eintrittspreise, Gagen, Besucherzahlen, Anzahl von Konzerten, Gebäudebetriebskosten und vieles mehr. Die Post hatte bei der Metrum Managementberatung einen sog.Businessplan in Auftrag gegeben, um einigermassen verlässlich zu erfahren, was das Festspielhaus den Betreiber im Jahr kosten könnte und würde.

Das wirtschafttliche Rechenwerk wurde von Kundigen wie Unkundigen  analysiert und auseinander genommen. Vorwürfe der „Oberflächlichkeit“ und falscher Zahlen machten die Runden, die einen sprachen von „Blendwerk“, die anderen von „geschönten Zahlen“. Daß der Ehemann von Ilona Schmiedel, der ehemaligen Intendantin des Bonner Beethovenfestes, jetzt in Zürich, Geschäftsführer der Metrum war, schürte das Misstrauen weiter.

In dieser Situation warf die Post das Handtuch. Und das Fazit: „And the winner is Cologne. Da freut sich die Kölner Philharmonie, daß es kein Bonner Festspielhaus geben wird. Ein Konkurrent weniger.“ So schrieb ein Leserbriefverfasser am 14.Juni im Generalanzeiger. Ein anderer meinte:“ Wir Kritiker dieses Projektes können stolz darauf sein, es zum Wohle der Stadt verhindert zu haben. Das waren wir auch unseren Kindern und Enkeln schuldig“.

Das nennt sich Meinungsvielfalt in Bonn. Es lebe die Provinz.