Architektur-Biennale Venedig 2014

Von der Begeisterung der Kritiker und der Ratlosigkeit der Besucher

Wer sich in diesem Jahr nach zahlreichen Besuchen der früheren, oft enttäuschenden Architekturbiennalen in Venedig dennoch zu einer erneuten Besichtigung entschloß, der tat dies nicht zuletzt wegen des Erfolg versprechenden  Kurators Rem Koolhaas, des holländischen Architekten, der von der FAZ als „Superstar und Geiselmönch“ bezeichnet wurde, von der weltweiten Architekturgemeinde aber als intellektueller Oberguru verehrt wird.

Fast alle Vorberichte zur Biennale und die ersten Kritiken nach der Eröffnung waren so ausschließlich positiv, daß der Biennale-Interessierte diesmal auf mehr als eine reine Show, sondern auf Kontemplation, auf Innehalten, auf Aufklärung und Aufgerütteltwerden hoffen konnte, wie man dies von einer Ausstellung vom globalen Rang der Biennale eigentlich auch erwarten kann.

Nicht zuletzt das Thema „Absorbing Modernity 1914-2014“  schien einerseits so konkret auf eine „Legitimation der Architektur in Zeiten ihrer globalen Entwertung“ zu verweisen und ließ andererseits auf eine intensive Standortsuche des in dieser Hinsicht weltweit agierenden Kurators selbst hoffen, der bisher kultur- und bauhistorische Eigenheiten der Architektur im Großen und Ganzen für überflüssig, ja lächerlich erklärt hatte.  Der Besucher machte sich folglich hoffnungsfroh und neugierig auf den Weg, um „Fundamentales“ - so der Titel des von Koolhaas kuratierten Teiles der Ausstellung - zu erleben und Grundsätzliches zu lernen.

Das konkrete Ergebnis des Besuches: Ratlosigkeit und auch Wut darüber, wieder einmal der eigenen Hoffnung auf Klärung und Visionen auf den Leim gegangen zu sein. Dabei hätten einen einige der vorab publizierten Aussagen von Rem Koolhaas und eines seiner Mitarbeiter, des Biologen Federico Martelli ( geboren 198o), durchaus misstrauisch machen können. Letzterer ließ so Grundsätzliches wissen wie „wir brauchen ein radikales Umdenken bei den Toiletten“, und der Meister selbst meinte: „ Ich habe irgendwann gemerkt ,daß ich über die Elemente der Architektur im Einzelnen nie wirklich nachgedacht habe. Mein Nachdenken beim Entwerfen war sehr eingeschränkt. Ich war schockiert, wie wenig ich etwa über die Geschichte der Tür wußte, obwohl ich ein relativ kultivierter und an der Geschichte interessierter Architekt bin.“
Die Biennale in den Giardini besteht bekanntlich aus den Ausstellungen in den Länderpavillons, die nicht unter die Verantwortlichkeit von Rem Kohlhaas fielen, und aus der von ihm kuratierten Großshow „Fundamentales“ im ehemaligen zentralen italienischen Pavillon. Diese baukonstruktive Nachhilfe in Sachen Bedeutung von achtzehn  Architekturelementen von der Decke bis zur Wand, vom Fenster bis zum Balkon, von der Fassade bis zum Dach und der Toilette bis zur Rampe zeigte, daß sich diese Themen überzeugend in  Büchern abhandeln lassen, daß sie für eine zentrale Ausstellung der Biennale aber denkbar ungeeignet sind. Trotz der verblüffenden Eingangskonstellation einer bemalten Kuppel und einer darunter abgehängten Decke unseres Alltags mit technischen Rohr- und LeitungssystemenLüftungsrohren jeder Art: Die gezeigten Alufenster liessen an Baumärkte denken, die Holzpaneele versprühten nicht einmal nüchternen Charme; man fühlte sich vom Meister auf den Arm genommen und durchwanderte sehnsuchtsvoll auf der Suche nach ein wenig ästhetischer Hoheit das seltsame Sammelsurium.

Der dritte, architektonisch faszinierendste Ausstellungsort ist das Arsenal, das Koolhaas ursprünglich aus Konzentrationsgründen gar nicht bespielen wollte. Doch die Venezianer bestanden auf diesem über Jahrhunderte nicht betretbaren, heute zu Biennalezeiten aber öffentlichen Ort ihrer Stadt.  Und insofern entwickelte Koolhaas hier das Projekt „Monditalia“. Hierfür wurden am Beispiel Italiens sämtliche Probleme der Globalisierung dargestellt und dabei über 4o Projekte, Filme, Tanz, Kunst, Theater und Performances zu einer chaotischen Gesamtaussage vereint. Selbst jugendliche Besucher ließ das überlaute Ambiente dieser verwirrenden Show flüchten, vor allem auch deswegen - scheinbar ein neuer Ausstellungstrend - weil nirgendwo plausibel erklärt wurde, was man sah und hörte. Wer von den Jüngeren kennt schon Ingrid Bergman und ihre Filme? Wen interessiert, wie spießerisch die Mafiabosse wohnen? Und mit dem schwersten Katalog aller Zeiten , der Auskunft gegeben hätte, läuft niemand durch die Biennale. Diese Lektüre ist für spätere Winterabende bestimmt.
Kaum ein Kritiker hat sich mit „Monditalia“ beschäftigt, kaum einer mehr als einige wenige Sätze dazu geschrieben. So weltweit bekannt scheint das korrupte Bauen in Italien, so gewöhnt ist man an geldgierige Volksvertreter, so geläufig sind einem misslungene Großprojekte, daß sich scheinbar jeder weitere Kommentar engagierter Kritiker erübrigte.

Insofern waren, wie meist in den letzten Jahren, die Länderbeiträge in den Pavillons, teilweise von bekannten Kritikern kuratiert, die provokativsten zum Thema „Absorbing Modernity“. Am radikalsten und pessimistischsten inszenierte Jean Louis Cohen im französischen Pavillon die Gräuel menschenfeindlicher, anonymer Großbauten und -siedlungen in überdimensionalen Fotosequenzen, denen er - nur scheinbar augenzwinkernd - als Gegenstück die Villa Arpel aus Jaques Tatis Film „Mon Oncle“ gegenüber stellte. Hier der Traum des modernen Eigenheims, dort im Wohn-Komplex Cité de la Muette, 1934 errichtet, ein Konzentrationslager ab 1940, weil die geraden Wege der Moderne, die kleinen Räume und die Übersichtlichkeit sich so wunderbar für diesen Zweck eignen.
Fasziniert beobachteten vor allem jugendliche Besucher im israelischen Pavillon die computergesteuerten Sanddrucker, die in ungemeiner Genauigkeit Pläne für Nachbarschaften und Gebäudeensembles in echten Wüstensand  zeichneten, die nach wenigen Minuten aber wieder verwischt wurden und verschwanden. Die Bedeutung blieb zweideutig:
Beliebigkeit und Vergeblichkeit von Planung?
Langweilig, aber ästhetisch ansprechend in kühlem Weiß präsentietren sich, wie es sich für die Moderne gehört, im Österreichischen Pavillon 196 Modelle von Parlamentsbauten in aller Welt, im selben Maßstab, aber ausser in ihrer Größe nicht miteinander vergleichbar. Eine unverständliche Ausstellung ebenso wie im Schweizer Pavillon,wo man  Cedric Price’s fünfzig Jahre alten, nie realisierten  Fun Palace als genialen Bau feierte und ihn für die moderne Architektur als das hochstilisierte,  „was Heidenbergs Unschärfe-Prinzip für die Physik“ gewesen sei. Im Übrigen lernte man von Lucius Burckhardt, was er unter „Strollology“ verstand, die Fähigkeit nämlich, beim Schlendern sehen zu lernen. Man hätte dies gern im Schweizer Pavillon praktiziert.

Daß die diesjährige Biennale sehr viel politischer war als die vorigen, verwundert angesichts der in aller Welt präsenten, die Menschen beeinflussenden modernen Architektur nicht. Daß diese Bauten
sich auch in entgegengesetzten politischen Systemen wie Nord- und Südkorea ähneln, machte die gemeinsame Ausstellung beider Länder - dies allein schon ein unglaublicher Event - überdeutlich.
Politisch einleuchtend, wenn auch thematisch ein wenig abseits war die im Nordischen Pavillon gezeigte Ausstellung „Forms of Freedom. Afrikanische Unabhängigkeit und nordische Modelle“. Bei der Befreiung Tansanias, Kenias und Zambias  glaubte man, mit der Architektur der nordischen Länder auch deren sozialdemokratisches Modell und eine allgemeine Modernisierung einführen zu können.  Ein Irrtum.
Der dänische Pavillon überraschte mit dem Geruch von frisch geschlagenen Bäumen. Man lief über Kiefernnadeln, betastete Baumrinde und konnte Betonziegel streicheln. Die „wohltuend sinnliche“ Präsentation mit einfachsten Mitteln sollte die Macht der Ästhetik  sinnfällig machen, aber keine abstrakte, allgemein gültige Schönheit, sondern eine individuell mit allen Sinnen aufgenommene, was das strapazierte Biennalepublikum dankbar genoß.

Eine der zentralen Fragen, die sich alle zwei Jahre bei der Biennale neu stellt und die nie schlüssig beantwortet wurde, ist die nach dem Publikum der Biennale. Wen will man erreichen, Laien oder Fachleute?
Wie einfach bzw. wie intellektuell dürfen Ausstellungen sein? Was kann man an Wissen voraussetzen und was nicht?
Die Ausstellung im deutschen Pavillon lieferte hierfür ein exzellentes Beispiel. Das von Kritikern als die beste Installation der letzten Jahre
hochgelobte German Haus zeigte einen Verschnitt im Maßstab 1:1 aus dem im 3.Reich umgebauten Pavillon und dem in Teilen in ihn hinein komponierten leichten und transparenten Kanzlerbungalow in Bonn von Sep Ruf. Was eine effektvolle Collage hätte werden sollen, blieb eine Kopfgeburt, eine intellektuelle Spielerei, die „weder Erlebnis noch Erkenntnis“ bot (Riklef Rambow). Alle diejenigen mußten sich ausgeschlossen fühlen, „ die nicht schon sehr viel Vorwissen über die beiden Gebäude mitbrachten“.. Und das waren die meisten Besucher; der Pavillon war denn auch fast immer leer.

Ingeborg Flagge